Beijing, 9.3.2014
Die Sonne scheint! Manchmal ein bisschen fahl, aber entgegen der europäischen Nachrichtenlage hält sich die Smogbelastung dieser Tage in Grenzen, und wir schätzen den Sonnenschein ungemein, hatten wir doch seit Ankunft in Hanoi keinen gesehen.
Im Gegenteil, als wir am vergangenen Freitag zum Bahnhof abrückten, nieselte es in Hanoi, was dazu führte, dass wir dieses Mal nicht zu Fuß gingen. Im Bahnhof reihten wir uns bei den Wartenden ein, die vor der Tür „Internationale Verbindungen“ saßen, und rätselten, wer uns bis China erhalten bleiben würde. Die Deutschen und ihr vietnamesischer „Reiseleiter“ mit eindeutig brandenburgischem Akzent? Der junge Mann, der mit mir ein 20-Worte-Englisch-Trainingsgespräch beginnt? Als sich knapp eine
Stunde vor Abfahrt die Tür öffnet, durchschreiten wir einen weiteren, völlig leeren Wartesaal (leer bis auf eine Menge thronartiger Holzsessel absieht, bestimmt übrig geblieben aus einer Neumoblierungsphase des Paralamentes…), aber wir werden gleich auf den Bahnsteig geschleust. Vorn am Gleis 1 steht ein Zug in die Berge, Ziel Sapa – das ist der für die Deutschen und die anderen Fahrgäste; uns bleibt nur der Einzelwaggon mit Lokomotive, der ganz am Ende wartet. Andreas vermutet, dass die beiden Züge noch zusammengekoppelt werden – mitnichten. Die Minuten verstreichen, es wird an den Bremsen herumgeklopft und begutachtet und diskutiert, aber weitere Passagiere kommen nicht in Sicht: wir haben einen Sonderzug gewonnen! Zweimal pro Woche gibt es eine Verbindung nach Dong Dang, als Anbindung an China – offensichtlich keine besonders beliebte Strecke, auch wenn der Übergang „Freundschaftstor“ heißt. Da wir mit Einbruch der Dunkelheit losfahren, ziehen wir uns rasch die Decken über die Ohren und schlafen für ein paar Stündchen. Um 22:00 werden wir geweckt: Dong Dang – Gepäck schultern, aussteigen, vietnamesische Zoll und Passkontrolle. Ein einsamer Dorfbahnhof wartet mit einer dunklen Bahnhofshalle und ein paar Beamten auf – und nach wenigen Minuten heißt es: „Go! Chinese train!“. – der steht auch schon abfahrtbereit auf dem (schmalspurigeren) Nachbargleis. Ach, schön, weiterschlafen! Aber das wird nix, denn nun kommt die chinesische Passkontrolle in Person eines schicken jungen Offiziers mit makellosen Englischkenntnissen, der die Pässe einsammelt und uns auffordert, in Pingxiang samt Gepäck wieder auszusteigen. Mitternacht – wir werden von einer ganzen Beamtengruppe geleitet, auch hier konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit auf die beiden einzigen Passagiere. Pingxiang macht schon einen anderen Eindruck: als Dong Dang eine riesige, gläserne Bahnhofshalle, allerdings nur besetzt von zwei verschlafenen jungen Zöllnern, die nachlässig unser Gepäck kontrollieren. Gepäck schultern und wieder rein in den Zug. Als uns die Pässe zurückgereicht werden das erleichterte „Wir sind drin!“-Gefühl, und endlich können wir nochmals für 4 Stunden in saubere, geradezu luxuriöse chinesischen Kissen sinken. In Nanning das gleiche Spiel wie zuvor: eine der zahlreichen Bahnangestellten geleitet uns in die Wartehalle. Wir merken uns nervös das Gleis und unsere Wagennummer – schließlich
bleiben dieses Mal unsere Rucksäcke im Zug. Der Nanning-Bahnhof ist gigantisch, und immer wieder füllt sich der Wartebereich schubweise mit Leuten. Wir stellen fest. Chinas Bahnhöfe unterliegen strengen Regeln – die Gleise werden nur für wenige Minuten vor der Abfahrt des Zuges geöffnet. Tor auf, Tor zu. Auf den Anzeigetafeln erscheint unser Zug nach Guilin bereits – T6 um 08:40, Gleis 12. Mehr können wir der Tafel nicht entnehmen, und auch Gespräche mit unseren Reise-Nachbarn ergeben sich nicht, bis auf einen jungen Polizisten, der mit allerlei Sprachkenntnissen aufwartet; die anderen können nur staunen. Langnasenalarm. Wir sind endgültig „sprachlos“, und das erzeugt eine gewissen Unruhe: was, wenn man uns in der Wartehalle vergisst? Aber man vergisst uns nicht, natürlich. Hier ist alles unter Kontrolle… 25 Minuten vor Abfahrt werden wir eingesammelt und ins Abteil verfrachtet. Wir holen noch ein bisschen Nachtschlaf nach, und um 14:00 holt uns ein – über unser Hotel vorbestellter – Taxifahrer in Guilin ab. Sprachlosigkeit, nächster Abschnitt, aber wir treffen heile und punktgenau im „Outside Inn“ in Chaolong ein – begeisterte Begrüßung von Wendy, die uns mit perfekten englischen Wortschwällen überfällt und uns erst einmal einen heißen, scharf-süßen Ingwertee in die Hand drückt. Mei, ist das kalt in China (wir waren halt noch nicht in Peking …)
Die folgenden Tage vergehen mit Spaziergängen und -fahrten durch die beeindruckende Karsthügellandschaft – Bambusflößen verkneifen wir uns allerdings, dafür bieten wir jede Menge Sensation bei der Landbevölkerung und bei Stadt-Touristen, die nicht nur angesichts der vergleichsweise mickrigen Rapsblüte völlig aus dem Häuschen geraten, sondern auch, wenn sie unserer ansichtig werden. Wir sind in China. Mitterndrin.
Das Outside Inn ist ein vielleicht 15 Jahre altes Hostel/Hotel, für das originale Lehmhäuser r
restauriert und modifiziert wurden. Sehr schön – wenn auch eben relativ kühl. Die Sonne scheint uns jedenfalls bis zur Abreise nicht, was aber dem Eindruck keinen wirklichen Abbruch tut, die Karsthügel sind auch in Schwarzweiß beeindruckend. Wir radeln zum Moonhill, steigen die 800 Stufen hinauf und gucken uns das Ganze von oben an, machen einen Radelausflug in die nahe Stadt Yangshuo, die ein richtiger Touristenort ist. „Bamboo, Bamboo!“ ruft es aus allen Ecken.
Wir sollen auf’s Floß steigen, soll das heißen. „Langnasen“ allerdings sind doch recht unterrepräsentiert, eher noch sind es Japaner, wenn man an Ausländer denkt. Abends genießen wir die köstliche chinesische Küche im Outside Inn und fressen uns durch die Speisenkarte – so gehen die 4 Tage schneller dahin als gedacht. Und das war dann der ländliche Teil unserer Chinaerfahrung!
Mit dem Bus geht es zurück nach Guilin, recht frühzeitig, denn wir müssen noch die Tickets für die Weiterreise nach Peking bekommen. Wenn man sich die Schalterhalle anschaut mit ihren Menschenmassen, ist es uns ganz recht, dass wir uns den Kauf leicht gemacht und über einen Freund des Hotels abgewickelt haben.
Im Zug betten wir uns dieses Mal in frische Kissen und Deckenberge – Sam hat uns die unteren Kojen reserviert, unsere beiden Mitreisenden müssen klettern, aber trotz der bereits erwähnten Sprachlosigkeit pflegen wir ein freundlch-lächelndes Miteinander. Der Zug rollt vorwiegend durch die Dunkelheit, bei Tage sehen wir endlose, platte und zersiedelte Lösslandschaft. Wir passieren riesige Städte, deren Namen wir noch nie gehört haben, und die uns mit Wolkenkratzern und Leuchtreklamen beeindrucken. 20 Stunden dauert die Reise, dann ist Beijing erreicht. Wir steigen aus – und damit kommt das erste chinesische Scherzchen: unser Hotel liegt nicht allzu weit vom Bahnhof entfernt, wir haben uns die Fahrtstrecke aus dem Internet geholt und schon in Australien ausgedruckt. Ein bisschen Laufen, ein bisschen U-Bahn-Fahren – nur zieht sich der Marsch zur UBahn rätselhaft – das Smartphone und Google Maps helfen auch nicht richtig. Die Wahrheit entspricht einfach nicht dem Kartenbild. Wir quetschen uns mit den Rucksäcken durch Menschenmassen – bis zur Metro sollten es ungefähr 1 km sein, aber als wir endlich eine Station erreichen heißt die leicht anders als erwartet… Hmm… Bis es uns wie Schuppen von den Augen fällt: wir
sind nicht im innerstädtischen Hauptbahnhof angekommen, sondern in Beijing West. Von nun an ist alles einfach – die Orientierung ist wieder da! Hurra! Auch die Bahnverbindung, ganz einfach: 11 Stationen mit der Bahnlinie 10 und dann nochmals umsteigen in die 5. Mittlerweile ist der Feierabendverkehr in vollem Schwung, wir erwerben eine fast geschenkte Fahrkarte (2 Yuan, das sind 24 Cent!) am sprachbarrierefreien Fahrkartenautomaten, der freundlicherweise englisch spricht. Die Bahnen sind so voll, dass wir uns in den nächstbesten Zug stürzen, die Tür schließt gerade noch so hinter unserem Gepäck, und wir sorgen für eine ziemliche Verstopfung. Macht nichts, wir sind unterwegs – stand ja auf der Anzeigetafel: Linie 10, und der Zielort, irgendwas mit …zhuang war’s. Dort steigen wir auch ganz richtig aus. Guogongzhuang. Sprachlosigkeit nächster Teil, wir finden nämlich die avisierte Linie 5 nicht. Können wir auch gar nicht. Exakt geraten, liebe Leser, irgendwas mit …zhuang war’s! Songjiazhuang! Zurück auf Null, zurück nach Liuliquao.
Und dann die 11 Stationen, dieses mal ganz richtig mit der Linie 10 und nicht mit der 9. Die 10 auf der Anzeigetafel war nur ein Richtungshinweis auf einen anderen Bahnsteig gewesen, aber mittlerweile kennen wir unsere Peking-Metro. Umsteigen in Songziazhuang, aussteigen an der Haltestelle Dongsi und noch ein paar Hundert Meter durch die Massen an Wanderarbeitern und schicken Büromädchen gestiefelt, dann sind wir – nach einer Stadtrundfahrt für 4 Yuan! – da. Im Hotel „161“ am Rande des Lishi-Hutongs. Geschafft – die englischsprechende Welt hat uns wieder, jedenfalls so lange wir uns im Hotel bewegen, aber das tun wir nicht sehr anhaltend. Sprach- und andere Abenteuer müssen sein. Schon das erste Abendessen hier im Hutong bietet Gelegenheit dazu, auch zu kulinarischen – Hühnerfüße, Schweineohren, Seegurken.
Und aus genau dem Grunde ist Schluss für heute!











