Mongolia

Wärmequelle und Heißwasserspender - der Samowar

Wärmequelle und Heißwasserspender – der Samowar

Zwischen Naushky und Ulan Ude, 17.3.2014

Kalack – kalack, kalack-kalack. Hier drin ist es mehr als mollig warm, wir haben das Glück (oder Pech) gleich neben dem Wagenschaffnerabteil zu nächtigen, 4er-Abteil für zwei; nebenan liegt unsere Wagenschaffnerin auf dem Bett und blättert in einem bunten Magazin, und manchmal fällt sie in eine Art Hitze-Ohnmacht; der Koksofen läuft nämlich auf Hochtouren, und der holzgeheizte Samowar, der sich zum Gang öffnet, tut das Seinige zur „guten Atmosphäre“. Uns soll es recht sein, auch wenn der Eigner ein bisschen über Schlappheit klagt, aber er bellt sowieso sonor vror sich hin und hat nebenbei auch noch einen Hexenschuss, also tut Wärme sicher eher gut.. Draußen zieht die sibirische Landschaft vorbei, es wird gleich dunkel.  Birken, Autos auf zugeforenen Seen, Eisangler, Jugendliche drehen auf dem Dorfteich Eislauf-Pirouetten. Staketenzäune und Holzhäuser, mit oder ohne bunte Fensterläden – so wie sich Emma Normaltouristin Sibirien eben vorstellt.  Drum heißt die Bahnlinie ja auch TransSib.

Wo wir schon von der Bahn sprechen –  aus Peking sind wir abgereist wie wir angekommen sind: die dortigen Bahnhöfe und wir haben’s miteinander.  Ausreichend frühes Aufstehen, Auschecken und ab zur U-Bahn, 3 Stationen bis Chongwenmen; Ausgang A, Richtung Nordwesten. So weit so gut. Gabel rechts oder Gabel links?! Was nun folgte (Gabel links wäre deutlich besser gewesen!) war ein kilometerlanger Gepäckmarsch auf der falschen Seite der eigentlich nur noch sporadisch existierenden Stadtmauern des alten Peking; nur ausgerechnet hier steht ein unüberwindbares Stück.  Klar, ist ein netter Park, Früh-Jogger, Gassigeher, sehr nett, es war ein ein erfrischendes Morgenvergnügen, aber wir wollten doch eigentlich nur zum Bahnhof.  Aber Ende gut, alles gut, irgendwann hatte sich der Kreis zum Bahnhof geschlossen, zu dreiviertel zumindest. Peking Hauptbahnhof. Trotz des sonstigen „Bahnhof“ auf Mandarin  verstehen wir doch die Anzeigetafeln, wir haben noch eine Stunde bis zur Abfahrt des K3 nach Ulan Bator. Plumps. Wir lassen uns auf die Wartebänke fallen  und ruhen aus, dazu 2 Caffé Latte und Vanillepastetchen vom „KFC“ (pfui, wie  unchinesisc!), und wir toppen Wasserflaschen auf.  Netter, letzter China-Klogang übrigens: Andreas sieht auf dem Männerklo eine Warteschlange vor 3 Kabinentüren (man merke auf, Türen!), aber es gibt doch eine vierte?!  ?!?!  Er guckt sich das kurz an, und dann wird ihm klar: die Schlange steht vor den Hockklos – das „Europamodell“ bleibt frei. Wie angenehm!.
Und bald geht’s los in die Mongolei.  Der Zug ist nicht so neu und komfortabel wie der zwischen Guilin und Peking, eher eine alte Schlurre. Es riecht nach Kohlenrauch – es wird von Hand geheizt, in jedem Wagen, mit einem Koksofen.  Aber dieses Mal teilen wir uns das Abteil mit niemandem, der Zug ist, wie zwei junge, amerikanische Studenten es bezeichnen, „deserted“.  Einfach leer.  Neben uns hat sich zwar eine

Neue Fahrgestelle...

Neue Fahrgestelle…

mongolische Familie häuslich eingerichtet, 3 Frauen, zwei kleine, wilde Mongolenjungs und ihr (Groß?)-Vater, aber sonst kaum jemand. Kurz nach der Abfahrt reicht uns ein Zugschaffner Gutscheine für Mahlzeiten herein „Lunch um 11:30 – wer nicht da ist, kriegt nichts mehr!“ Um 11 Uhr machen wir uns auf die Socken:  Wagenende – Tür auf – Verbindungsbleche überschreiten – Tür zu, Tür auf, den langen Gang runter, Tür auf… viele Waggons entlang. Insgesamt zählen wir 8 Reisegruppen – 2 asiatische Paare, zwei deutsche Frauen auf dem Weg nach Moskau, ein österreichisches Pärchen und 2 Italiener.  Wozu man da einen so langen Zug einsetzt?! Keine Ahnung. Keine Ahnung zumindest bis wir Erlian erreichen. Nach der chinesischen Zoll- und Passkontrolle kann sich der Reisende entscheiden, ob er im Zug bleibt oder ins Bahnhofsgebäude geht, denn in der folgenden, dreistündigen Pause bekommen wir in einem Werkschuppen neue Fahrgestelle für die breite, russische Spur verpasst..  Wir bleiben und gucken uns das Schauspiel an, von drinnen – aussteigen geht nicht (dafür sollte man vorbereitet sein, denn Pieseln geht natürlich auch nicht, was würden da die Arbeiter sagen…). Die Wagen werden einzeln abgekoppelt und an den 4 Ecken hochgehoben, die alten Fahrgestellsätze werden weg- und die breiteren druntergerollt, absenken und fertig.  Aber das dauert für so einen langen Zug natürlich, und warum der so lang ist, sehen wir, als wir zurück zum Bahnhof rollen:  es steigen ganze Scharen zu, augenscheinlich ist Erlian ein beliebter Einkaufsort für Mongolen. Nach der Pause noch einmal 1 1/2 Stunden auf der mongolischen Seite für Pass-und Zoll, wo auch sehr penibel in die kleinen Winkel des Abteils nach Schmuggelware geschaut wird.  Was wohl passiert, wenn jemand etwas in unserem Abteil versteckt hätte?!  Huh..
Dann geht die Nacht dahin, wir sind dankbar, uns wieder in die Decken hüllen zu können, denn draußen ist es mittlerweile deutlich kühler geworden, alle Offiziellen treten mit dicken Stiefeln und Pelzmüzen auf . Der chinesische Speisewagen, wo wir auch noch zum Dinner eingekehrt waren (mengenmäßig für den hohlen Zahn, aber lecker! ) ist in China geblieben, ein mongolischer soll angekoppelt worden sein, wie wir vom Nachbarn Ganzo  erfahren, aber sich für ein ungewisses Frühstück „meilenweit“ durch einen vollen Zug zu quälen unterlassen wir und stürzen uns auf die mitgebrachten Ritz-Cracker und Scheiblettenkäse (Milkana, was man eben so  in Peking im Wu-Mart neben den gedünsteten Hühnerfüßen findet).  Mit Ganzo (Mongolisch: Eisen) tauschen wir uns aus, er ist schon ausgiebig in Europa gereist – wir nehmen an, er hat in Stuttgart einen Merc gekauft und ihn dann nach Hause kutschiert, anno 1996. Seine beiden Jungs können wir manchmal nur durch ostentatives Schließen der Abteiltür abwimmeln, aber lustig ist es schon. Begegebenheit am Rande: die wilden Rangen toben durch  den Gang (die Masse der Fahrgäste fährt hart und aufrecht, also nicht im „Sleeper“ wie wir, insofern ist es bei uns immer noch ruhig und es gibt Platz für mongolische Reiterspiele. Plötzlich rumst es draußen auf dem Gang, kurze Stille und dann ein Kleine-Jungs-Geheul.  Nach einer Weile kehrt Ruhe ein und als wie das Söhnchen wiedersehen, hat er ein wunderschönes, dickes rot-blaues Horn an der Stirn, auf das er ein Stück Papier presst. Ganzo: „… do you know Bruno Grünig?!  He is German!“  Hm, ich nicht, aber Andreas entsinnt sich eines finsteren deutschen Kurpfuschers.  Ganzos Frau ist „Heilerin“ und sehr stolz darauf, Bilder vom diabolisch in die Weltkrieg-zwo-Kamera schauenden „Heilpraktikers“ für heilende Zwecke einzusetzen – ich sehe sie, die am Morgen kurz hustete später im Abteil sitzen und sich ein Bild vom finsteren Herrn Grönig auf die Brust pressen.  Wat nich allens gifft in der Mongolei.  Ganzo übrigens, der  leidlich englisch und französisch spricht, lässt sich natürlich auch von unserer Reise erzählen und bittet sehnsüchtig: „… holt mich ab mit dem Schiff in Ulaan Baatar!“.  Leicht gesagt.  Ulaan Baatar ist nicht nur die kälteste Haupstsadt der Welt sondern auch die, die am weitesten von jedwedem Ozean entfernt ist.

Auf dem Weg nach Ulaan Bataar

Auf dem Weg nach Ulaan Bataar

Mittlerweile rollen wir durch braune Hügellandschaft, am Horizont sieht man Schneeberge.  Leer ist es draußen, mal ein paar Pferdchen, Schafe, Kashmirziegen. Irgednwo scheint man Kohle abzubauen, denn Kohlezüge gibt es immer wieder mal.  Je näher wir UB rücken umso öfter sehen wir Gehöfte mit Jurten, die hier Ger heißen, bis wir in die Vororte einrollen, wo sich moderner Wohnungsbau mit schon zerfallendem und eben Gers häufen, bunt gemixt.
Wir sind da.  Kalt ist es. Ganzo hatte uns 12000 Tugrik in die Hand gedrückt, gegen einen Euro-Fünfer, für ein Taxi, das uns zu unserem Hotel schaffen soll. Ganz zufrieden war der Fahrer nicht mit der Tatsache, dass wir schon wussten, was ein angemessener Fahrpreis ist… 20 Dollar hätte er gern gehabt, aber nicht mit uns (sehr wohl mit uns, als wir Sonntagabend zum Bahnhof zurückfahren werden. manmuss sich nur ungeschickt genug anstellen!).
Folgerichtig fährt er uns auch nicht ganz bis zum Hotel, sondern lässt uns die letzten 50 m laufen.  Egal.  Das Hotel „Kaiser“ empfängt uns mit einem etwas desolaten Parkplatz, aber drinnen ist alles prima (mit deutschen Fachwerkbildern an der Wand, wie der Kaiser eben wohnt!) und wir kriegen ein feines Zimmer mit geräumigen, guten Betten, in Andreas gleich plumpst, denn die scharfe kalte UB- Luft hat seinem schon kratzigen Hals nicht gut getan. Ich dagegen wetze in die Stadt. es ist früher Nachmittag und noch Zeit, die Tickets für die Anschlussfahrt nach Irkutsk abzuholen, und fremde Städte sind mir ja immer ein spannendes Erlebnis.

Ulaan Bataar - in der Stadt

Ulaan Bataar – in der Stadt

Was ich sehe, ist ein Globalisierungswunder – hatten sich entlang der Bahnlinie noch die Gers gereiht, schreite ich nun der Peace Avenue folgend ein Hochhaus nach dem anderen ab. Blue Sky, Central  und wie sie alle heißen.  Riesige Leuchtreklamen wollen mir den Einkauf bei OCCITANE schmackhaft machen oder den Erwerb von Dyson-Staubsaugern – oder darf es vielleicht ein Armani-Anzug sein?! Unglaublich.  Wirklich nicht das, was ich von Ulaan Bataar erwartet hatte. Ich nehme ein Taxi zum Reisebüro, das hatte man mir empfohlen – aber nach dem Empfang der Tickets laufe ich die lange Peace Avenue zurück.  Am unteren Ende wird es doch tröstlich mongolischer, aber eigentlich ist dies eine ganz normale Großstadt.

Genghis - wer auf sich hält lässt sich mit ihm fotografieren

Genghis – wer auf sich hält lässt sich mit ihm fotografieren

Erst am Sonnabend – Andreas liegt nach einem Stadtausflug am Freitag endgültig flach – erkunde ich die Hügel um den großen Lama-Tempel, und da ist dann wirklich „Mongolei“. Traditionelle Kleidung (mit elektronischen Gimmicks in aller Hände, versteht sich). Gebetstrommeln in Unzahl und rätselhafte Gebetsriten, bei denen sich zum Beispiel eine Großfamilie sehr lange um eine Fahnenstange bewegt.
Auf dem Rückweg möchte ich gern eines der Gers fotografieren, von denen es in der Stadt gar nicht so wenige gibt, und ausgerechnet in dem Moment, wo ich auf den Auslöser drücke, geht die Ger-Tür auf, was mir doch peinlich ist. Eine junge Mutter schiebt ihr Kind hinaus in den Hof, sie kommt hinterher: Lederstiefeletten, Leggings, kaschmirenes Jäckchen, und ein volles Make-Up.  So viel zu meinen Vorurteilen, wer wohl in den Gers lebt, die ärmere frisch vom Lande zugezogene Bevölkerung, dachte ich.  Wie man uns sagte, ist das die bevorzugte Behausung, billig, mobil und bequem dazu im Sommer kühler als Häuser.  Vielleicht ein bisschen schlecht zu heizen – es ist nämllich trotz Sonnenscheins saukalt.

Andreas geht es immer noch nicht gut – aber wir beschließen, trotzdem am Sonntag einen Ausflug in den Nationalpark Terelj zu machen, und

Der größte Dschingis aller Zeiten.

Der größte Dschingis aller Zeiten.

der bietet die eigentliche Enttäuschung des Mongoleiaufenthaltes. Wir lassen uns im Taxi hinkarren, aber die Landschaft ist trocken und trist braun, den Schneebergen, die in der Stadt je nach Licht eine erfreuliche oder bedrohliche Kulisse abgeben, bleiben wir fern. Stattdessen fahren  wir auf einen Parkplatz unter einer „Turtle Rock“ genannten Felsformation, wo wir dann sicher zur Enttäuschung unserer Führerin alle Entertainmentvorschläge ausschlagen: Ponyreiten, Kamelreiten – und wegen der angespannten Lage auf dem Atemwegsektor verzichten wir auch auf die kleine Wanderung zum chinesisch-mongolischen Lamatempel.  Nur Genghis Superstar und sein schönes Museum waren wirklich toll!

Und als wir in Ulaan Bataar zurück sind, schneit’s.  Schnell noch eine Suppe im Restaurant Duba und dann sind wir froh, bald den Zug besteigen zu können.  So ist das mit den Stippvisiten – das kann auch mal schief gehen!

Herzliche Grüße aus Irkutsk übrigens!

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