TransSib und danach…

Moskau.  Am Roten Platz

Moskau. Am Roten Platz

Moskau, 28.3.2014

Ein schönes Viertel haben wir wieder erwischt: Tverskaya heißt es, oder so ähnlich , richtig was für feine Leute des 19. Jahrhunderts.  Und darum hat Vladimir Iljitsch L. mal in diesem Haus gewohnt, 1906.
Heute hat es eine Panzertür, ein Magnetschloss, einen Wachmann im Flur, und ganz oben, im „vierten Stock“, der nach unserer Zählung der 3. ist, wurde eine riesige gutbürgerliche Wohnung zum Hostel umgebaut.  Bevölkert ist dieses zur Zeit sehr bunt, wir sind die einzig verbliebenen Nicht-Russen, ein türkisches Paar ist gestern abgereist.  Der Rest sind Familien (es sind schon Frühjahrsferien), ein paar Studenten (ich vermute vorzugsweise Bewerber für’s Konservatorium), und es geht alles sehr freundlich-russisch zu, man sitzt zum Frühstück und Abendbrot in der Gemeinschaftsküche, lässt sich die Sonne auf’s Haupt scheinen und schwatzt, was die Sprachkenntnisse so hergeben. Mit Marina und Leonid – ja, ja, ein Kind der Breschnew-Zeit, aber eigentlich ist er Kubaner – geht das besonders einfach, und man erfährt auch mal ein bisschen was zur „russischen Seele“. Zum Beispiel dass es dem Standardrussen mehr als schwer fallen würde, für eine lange Zeit oder gar für immer woanders hin zu ziehen.  Entwurzelungsangst ist ein echtes Problem, und darum arbeitet Leonid auch in Moskau, während Marina mit der kleinen Mania (=Maria) weiterhin in St. Petersburg lebt (und, na was wohl, Spanischunterricht gibt).

Wie entwurzelt haben sich bloß Gulag-Insassen gefühlt?  Wir waren gestern im Gulag-Museum, wirklich sehr grausig und sehr sehenswert.   ein bisschen Russisch müsste man sprechen, dann wäre der Besuch noch lohnender.  Sehr beeindruckende Filmdokumente und Zeugenaussagen und viele, traurige Rehabilitationsbescheinigungen, die nach Stalins Zeiten auch posthum ausgestellt wurden.  Erschütternd.
Überhaupt gucken wir intensiv danach, wie sich das Russlandbild unserer Jugend vom heutigen unterscheidet.  Roter Platz zum Beispiel. zunächst mal ist der kleiner als gedacht (Tiananmen war’s ja auch…) – diese Paradebilder, die wir im interkopf haben sind hier aufgenommen worden?!  Natürlich ist der Platz voller Touristen (von wegen: „… la place rouge etait vide…“).  Die Roten Sterne sind nur noch auf dem Kreml zu sehen, der Rest ist vergoldeter Zierrat geworden, und das Kaufhaus „Gum“, tja… das ist der Konsum-Overkill.  Unfassbar, und recht unbelebt.  Wer allerdings oligarchenmäßig von den „Sanktionen“ betroffen ist, geht halt hierher – oder, noch besser, in die nicht touristenverseuchten kleineren Einkaufsparadiese, die sich in diversen großbürgerlichen (oder -fürstlichen?!) Häusern verbergen. Da sind die feinen Geschäfte in den Seitenstraßen der Bolshaya Dmitrovka und Ulitsa Tverkovskaya – vom Gulag zu KITON und CARTIER ist es kaum „zweimal lang hinschlagen“.  Da wir den Wohlstandsstatus bekanntlich in Porschedichte messen, müssen wir dazu sagen: ein VW Touareg muss hier als popelig gelten, Porsche Cayenne ist die bessere Babykutsche und Papa fährt mit dem Panamera bei Christian Louboutin vor (jau, musste ich auch bei Wiki nachschlagen!) und holt Muttern noch 15 cm hohe Hacken mit roten Sohlen.  Ich weiß, unsere Sichtweise ist ein bisschen kleingeistig, aber so isses, und die Kehrseite davon ist die – durchaus vor Louis Vuitton – hockende Rentnerin mit dem bettelnd hochgereckten Plastikbecher.

Unterwegs in Sibirien - mal desolat...

Unterwegs in Sibirien – mal desolat…

Die Kehrseite ist auch, was wir vom Zug aus sahen – zunächst mal 4 Tage viel Birken, sanft gewellte Landschaft, Schnee und Schneeschmelze – und dann prächtige Kirchen mit vergoldeten Dächern, die Orte überragten, die aus schwarzem Schlamm, zerfallenden

... mal so là là 

… mal so là là 

Holzhäusern und Industriebrachen zu bestehen schienen. Trotzdem ist die Moskwitch- und Lada-Dichte gering, man fährt japanisch, gern Rechstlenker, offensichtlich schicken die Japaner ihre abgelegten Autos auch gern nach Russland.

Die Bahnreise fanden wir toll, aber wir sind ja bekanntlich auch ein

TransSib - der ultimative Dresscode

TransSib – der ultimative Dresscode

bisschen einfach im Hirn. Das war viel Schlafen, Lesen (endlich mal Zeit für den etwas schwierig zu lesenden Richard Dawkins, The Greatest Show on Earth!), Schlafen, Essen. Highlight für Andreas war es, mal in ein „1st Class Restaurant“ , i.e. in den Resataurantwagen in (langer) Unterhose einzurücken – wir haben uns dem russischen Dresscode nur in dieser Hinsicht angenähert und Funktionshosen getragen, ansonsten T-Shirt: ein Doppelripp-Unterhemd stand leider nicht zur Verfügung, Andreas hatte statt Adiletten auch eigene FlipFlops mitgebracht (Stiefel sind hier immer und überall völlig „out“, hier herrscht ein strenges „Schuhe-aus“-Regiment).  Ich habe die von der Bahn gelieferten Wegwerf-Puschen getragen.  An den größeren Stopps stieg man dann mal auf den Bahnsteig, Füße vertreten, Eisenbahntechnik gucken (zum Beispiel, wenn die Eiszapfen unter dem Wagen abgeschlagen werden, wo die wohl herkommen?!), Milch am Bahnsteigkiosk kaufen. Dresscode:  ja sicher! Unterwäsche mit dicker Jacke.  Es waren aber außer Trainingshosen auch schöne Negligés und Morgenmäntelchen zu sehen.

Moskau - Rush Hour und zwei Rucksackträger

Moskau – Rush Hour und zwei Rucksackträger

Durchgehend bis  Moskau waren wir mit Mikey aus London zusammen, einem  19-jährigen Schulabgänger, der seine vor-der-Uni-Reise nach Vietnam zum Kummer der Eltern mit einer Eisenbahnheimreise kombinierte; ein sehr angenehmer Reisebegleiter. Und wir hatten von Irkutsk bis Novosibirsk Simjan im Abteil, einen ziemlich umfangreichen Menschen aus dem fernen Osten, keinerlei Fremdsprachen mächtig, die er mit uns hätte teilen können. Simjan residierte über Mikey in der oberen Koje und ließ sich zum Essen aber auf des schüchternen Mikey Bett fallen. Und „essen“, das war Dauerprogramm.  Dennoch war es sehr lustig, vor allem für Andreas, wenn Simjan mit dem gleich umfangreichen Abteilnachbarn den Gang verstopfte, an denen sich dann die dicke Frau Fuchs (wahlweise auch die noch dickere Zug-Köchin) vorbeiquetschen musste. Nachdem sich Simjan nachts in Novosibirsk herzlich verabschiedet hatte, sagte Mikey:  „… ich habe noch nie einen zweihändigen Händedruck erhalten…“.  Er war im wahrsten Sinne „beeindruckt“.  Schade um unsere Sprachlosigkeit!
Rein technisch war dieser Zug, der in Irkutsk schon 3 Tage aus Vladivostok unterwegs gewesen war, der zweitbeste nach dem pfuschneuen zwischen Nanning und Beijing.  Wie schon zuvor ein „Waggonbau AG Ammendorf“-Fabrikat, dieses Mal aus dem jahr 1993, aber nicht mehr mit Kohleheizung, sondern sehr modern elektrisch beheizt.  Zum Frühstück und auch mittags und abends kam die Köchin mit Pirashka vorbei, die wir gern angenommen haben, und eine „Mahlzeit“ am Tag hatten wir mit dem Ticket gekauft; ein Teller Borscht und ein bisschen Fleisch und Reis oder Nudeln.  „Gemüse“ gab es auch: kalte Erbsen aus der Dose, abgezählt, so zwischen 12 und 15 Stück! Dafür war die Soljanka im Zugrestaurant wirklich gut und der Salat eine echte Wohltat in diesen salzcrackerreichen Zeiten.
Natasha und Katharina lösten sich tapfer mit dem Waggonservice ab, und wandelten sich ständig von Kittel-beschürzter Mamuschka, die Klo und Abteile sauber hielt (und gern zur Unzeit die Klos verschloss!) in Schaffnerinnen, die fesch uniformiert auf den Bahnhöfen die Waggontüren bewachten.  Viel reden konnten wir auch hier nicht, aber für ein ein freundliches Miteinander reichte es.  Nach 84 Stunden waren wir dann da.  TransSib „gemacht“.  Tolle Leistung.  Ich glaube, Mikey war wirklich ein bisschen stolz. 84 Stunden rumlungern, das ist für ein Londoner Stadtkind auch wirklich eine Leistung. Für uns war’s „Normalprogramm“, wie eine Ozeanpassage ungefähr. Angenehm.

Und nun ist Moskau dran – wir haben noch zwei Tage. Gestern ging es Lenin gar nicht gut, er soll sehr wächsern ausgesehen haben,  und daher wurde das Mausoleum vorzeitig geschlossen; morgen ist ein neuer Tag, ein neuer Versuch, ihm einen Besuch abzustatten – heute, also freitags, hat Vladimir Iljitsch nämlich sienen freien Tag!

Mal gucken, was der Kreml von innen zu bieten hat!  Wir müssen los! Bilder folgen!

Ein Gedanke zu „TransSib und danach…

  1. Bitte ein Foto von Andreas in Feinripp und Flip Flops.
    Die Eiszapfen sind bestimmt Kondenswasser.
    VG
    Ho

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