Vladimir Iljitsch L. und andere

Zwischen Moskau und Brest, 30.3.2014

Ein warmes Plätzchen: im Kaufhaus Gum

Ein warmes Plätzchen: im Kaufhaus Gum

Was war das kalt in den letzten beiden Tagen!  Nicht, dass wir jetzt die warme Bude im Zug so richtig angenehm empfinden würden, da ist’s dann wieder gleich ein bisschen zu trocken, aber die schönen, frühlingshaften Temperaturen vom Ankunftstag hätten ja durchaus für unseren Moskauauenthalt durchstehen können.

Dass Vladimir Iljitsch L. am Freitag frei hatte, hieß nicht, dass man nicht doch Schlange stehen musste. Und wie!  Unschlagbarer Vorteil unseres Hostel in der Merzliakovsky-Straße war ja, dass man vorbei an vielen, schönen klassizistischen Gebäuden ziemlich schnell am Roten Platz war, also auch ganz schnell am Ticketschalter für die „Rüstkammer“ des Kreml, wo wir uns a. an Gold berauschen und b. ein bisschen aufwärmen wollten.  Das war der Plan. Die Schlange am Kartenschalter war lang genug, um mir zu erlauben,  noch einmal Geld tanken zu gehen – ATMs sind uns auf dieser Reise nie ausgegangen, so auch hier nicht, aber manchmal artet die Suche nach Bargeld doch in eine richtige Expedition aus. Und dann hat man dann auch noch so ein Dussel vor sich, das seine Karte mindestens 8 Mal wieder reinschiebt und den Automaten um immer geringer werdende Beträge anbettelt (vergeblich, übrigens).  Das dauert. Also musste Andreas aus der Schlange ausscheren und bis ich wieder da war, hieß es „Njet! Keine Tickets bis 13:45“. Begeisterung allenthalben, bei uns, bei den Italienern, den Holländern wie den Russen ringsum. Also warten. Als wir die Karten endlich in der Hand hatten und ins Kremlgelände gewandert waren, warteten wir nochmals auf den Einlass ins Armoury – im eisigen Wind, aber immerhin mit Unterhaltung durch die vorbeigleitenden Regierungslimousinen. Mercedes, Mercedes, Audi. Mercedes. BMW.  VWs nur für die niederen Chargen, wahrscheinlich.  Man hatte wirklich den Eindruck, im Zentrum der Macht angekommen zu sein,

Himmlische Unterstützung für starke Männer: im Kreml

Himmlische Unterstützung für starke Männer: im Kreml

und diese Macht fährt „deutsch“…   Um 14:30 ging’s ans Aufwärmen, endlich – und, was soll ich sagen: es ließ mich kalt.  Du liebe Güte – so viele hässliche Goldpötte und Schalen und Samowars und Bernstein-Obsthalter, Zarenmitbringsel, klerikale Prachtklamotten und Fabergé-Eier.  Doch, doch, das ist alles sehr prächtig, aber ich konnte mir zu keinem Zeitpunkt den Gedanken verkneifen, wer für so viel Reichtum wie lange hat als Leibeigener schuften müssen.  Die Ausstellung ist für mich die Quintessenz feudaler Systeme.  Interesssant, ja. Wesentlicher Tagesordnungspunkt?! Nö, nicht wirklich.

... undimmer schön prächtig!

… undimmer schön prächtig!

Der Rückweg führt über den Kathedralenplatz im Kremlgelände, an einer Ansammlung von gewiss berühmten Zwiebelturmkirchen und -kapellen vorbei, wo wir kurz vor Feierabend noch schnell bei der heiligen Katharina (es war wohl eher der Erzengel Michael…) vorbeischauen – eigentlich ist das alles mehr Klerikales, als meine Hutschnur halten kann * . Wir lassen uns durchpusten, weg ist die Wärme aus der Rüstkammer.  Wie gut dass der Heimweg kurz ist, und auf der Bolshaya Nikitskaya ein „Schokoladen-Café“  liegt.  Wie schnell man doch ein „Stammlokal“ für sich findet. Und so ganz unpolitisch…

Wirklich interessant wurde abends die Unterhaltung mit Leonid und Marina, die ihrer Tochter ebenfalls die Rüstkammer mit all ihrer Pracht vorgeführt hatten – sie hatten uns in der Schlange bibbern sehen..  „Das ist unsere Geschichte!  Toll – so viel Reichtum!“  Ich bin baff – das hätte ich nicht erwartet. Und ganz ehrlich – ich hatte insgesamt ein sehr viel sowjetgeschichtslastigeres Russland erwartet; die Einlassungen von Anton in Irkutsk hatte ich als Einzelmeinung aufgefasst. Wie naiv! Was wir fanden war ein ziemlich „putinsches Dorf“, sozusagen.  Zustimmung zu all diesen zentristisch-nationalen Vorstellungen, alles wunderbar – und bitte nichts hinterfragen.  Erst etwas später im Gespräch, als um Demokratie geht, kriegen wir ganz langsam die Kurve.  Ich kam mir ganz schön „links“ vor mit meiner grünlich-rötlich schimmernden Meinung.

Marschall Shukov

Marschall Shukov

Zum Ausgleich gab es am Sonnabend nochmals eine Portion Stalinismus.  Noch eine Warteschlange in der Kälte, dieses Mal für Vladimir Iljitsch Lenin. Unter den Augen von Marschall Shukov, der jetzt zackig, nein, nicht nach Deutschland, sondern in Richtung Four-Seasons-Hotelklotz reitet, marschierte ein Häuflein Veteranen mit roten Fahnen und Sträußen von roten Nelken in Richtung Roter Platz.  Veteranen müssen nicht anstehen, und sie müssen auch nicht eine weitere Warteschlange über sich ergehen lassen, die nämlich,  wo man seine Kameras und Telefone und größere Gepäckstücke abliefern muss, drum haben wir die „Show“ nicht verfolgt – bis wir am Mausoleum angekommen waren, hatten die alten Herrschaften schon den Rückweg angetreten. Am Mausoleum selbst (dafür dass Lenin der Verwirklicher der kommunistischen Idee war, hat er ein denkbar kleines.  Das können Mao und Onkel Ho besser!), am Mausoleum also herrscht strenge Ordnung: die militärischen Bewacher scheuchen einen in die richtige Richtung, treiben zur Eile an, pfeifen Andreas an, seine Mütze abzunehmen und zischen „Ruhe“, bei Bedarf.  Man stolpert durch’s Stockdunkel einige Stufen hinab und wieder hinauf, so dass „er“ dann erst recht als „Lichtgestalt“ in seinem gläsernen Sarkophag liegt.  Einige Zungen – von böse will ich gar nicht sprechen! – behaupten, dass es eben nicht Vladimir Iljitsch ist, der da liegt, sondern ein Stellvertreter aus dem Hause Tussaud. Auch wenn man sich rühmt, dass sowjetische Wissenschaftler für Lenin eine Balsamierungsmixtur ersonnen haben, die ihn bis auf den Tag unversehrt hier (er)scheinen lässt – mit gefällt die Idee der Wachsfigur, alles andere fände ich auch irgendwie… unwürdig.  In 5 Minuten ist man wieder draußen und schreitet nun noch die Reihe der bisherigen Politpromininenz ab – schon auf dem Hinweg die Mauer entlang reihte sich eine Gedenkplatte an die andere, mit der vorwiegend russische, aber auch viele ausländische Helden der kommunistischen Revolution geehrt werden; und hier, in der Reihe der Erdgräber mit Büste, steht gleich als erstes Tchernenko. Ich trete, um den Gedenkstein lesen zu können, auf die Platte davor. Oh, nein – Anpfiff!  Aber da ich den Namen vor mich hin murmele, habe ich einen Job als Führerin gewonnen: ein freundlicher, aber doch schon recht alterssichtiger Herr aus dem fernen, fernen Osten Sibiriens (sagt mir die Optik) lässt sich nun alle Namen von mir vorlesen:  Frunse, Kalinin, Sverdlov, Breshnev, Andropov…  Und da sind sie dann, die roten Nelken der Veteranen!  Natürlich. Das einzige Grab mit Blumen ist das von Stalin.  Ob die mal im Gulag-Museum waren?!

Lichtkuppel mit Mosaik

Lichtkuppel mit Mosaik

Mosaik mit Hammer und Sichel...

mit Hammer und Sichel…

Metrostation Majakovskaya

Metrostation Majakovskaya

Roter Stern und heroische Flieger

Roter Stern und heroische Flieger

Wir fliehen den kalten, Roten Platz – dicke Schals und Mützen sind an diesem Samstagnachmittag Pflicht. Erst gibt es einen Salat unterm Glasddach des Kaufhaus Gum, durch das die Sonne wärmend fällt, und danach kommt noch ein letzter Programmpunkt: Metrostationen. Nach ein paar Suchrunden um die Station Ochotny Rjad (wer hat denn da eine solch bombige, mehrstöckige Shopping Mall unter die Erde gebastelt?!) finden wir den Weg zur Teatralskaya und von dort zur Metrostation Majakowskaya.  Uns fällt der Unterkiefer runter:  Art Deco-artige Säulenverkleidungen, Marmor, oben drüber Deckenkuppeln, die von Lampen und von vergoldeten Insignien der Sowjetzeit gerahmt sind:  Sterne sowie Hammer und Sichel. Und in deren Mitte wunderbare Mosaike mit heroischen Motiven der Sowjetzeit. Sport, kultur, Militär. Prachtvoll – und nicht so protzig wie der Zarenkram.

Wir belassen es bei dieser Kostprobe – vielleicht wäre Stalins Lieblingsstation Krasnojarskaya noch ganz interessant gewesenund die anderen eigentlich auch, aber das wäre eine Moskau-Exkursion für sich.

Wir streben heim. Rucksack packen, denn heute ging es früh los. Wir rollen gerade durch Minsk – tschüss Rossija – moin, Belorus!  Die EU rückt näher…

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* eben glitten auch draußen wieder miese Wohnblocks und Garagenanhäufungen vorbei, die sich um eine frisch vergoldete Zwiebelturmkirche gruppieren.  Uff…  Mit Kirche hab ichs wirklich schwer und hier erst recht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Vladimir Iljitsch L. und andere

  1. Die Leonids und Marinas sind ja gerade das Salz in der Monarchiesuppe überall auf der Welt.
    Hab Ma heute Morgen deinem Bericht vorgelesen. Jetzt fahren wir mit Frank und Bine Häuser angucken!
    VG
    Ho

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