Unglaubliches

Eingewurzelt

Eingewurzelt

Phnom Penh Airport, 19.6.2015

Ganz schön viel Unglaubliches in und über Kambodscha. Wo anfangen?

 O.K.  In Siem Reap also, das den Ankömmling zunächst einmal mit einem nicht erwarteten Aufgebot an Läden und vor allem Hotels überrascht. Die Stadt lebt vom Tourismus und ist, wenn man mal von Zielen wie ein paar Inseln im Golf von Thailand oder Sihanoukville absieht, der Publikumsmagnet Kambodschas: das berühmte Angkor Wat  müssen eben alle gesehen haben. Mr. Thanh, unser Guide, spricht von 6000 Touristen am Tag – in der Hochsaison, die aber derzeit nicht herrscht. Aber auch 3000 sind eine Hausnummer. Unser Haus-Tuktuk schlängelt sich durch die immer interessanten  Seitenstraßen der Stadt, wo Eisen gedengelt wird und Mönche ihre Almosen einsammeln. Vorbei an Hotels auf quadratkilometergroßen Arealen, die nicht einmal 10 Zimmer haben. High, high, high, high – high society. Der Tempel von Ta Promh wurde zum Beispiel für den Film Tomb Raider missbraucht, und da muss der Filmset ja irgendwo unterkommen. Gerade rechtzeitig vor dem ersten Busansturm erreichen wir die Kassenhäuschen am Standrand. 40 Dollar sind fällig, pro Nase, für 3 Tage, die man sich glücklicherweise, wie sich  herausstellen soll, über eine Woche frei verteilen kann. Und dann: Angkor Wat. Die schlichte Schipperin weiß zwar, dass Angkor Wat vielleicht nicht so ist, wie ihr das in den Jugendjahrbüchern der 60er Jahre beschrieben wurde – dampfender Urwald und Tempelruinen! -, aber als wir uns dem Schutzgraben nähern, ist schon alles klar. Das APSARA-Projekt der Kölner Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften (hallo, Neffe!) und andere Restauratoren haben ganze Arbeit geleistet. Bäume stehen hier nur zur Dekoration.  Nein, um der Wahrheit die Ehre zu geben, die Franzosen haben natürlich – ganz Französisch-Indochina – die Restaurationsarbeiten im 19. Jahrhundert begonnen, mit dem damals üblichen geringen Sinn für Erhaltung des Originalzustandes zugunsten einer idealisierten Vorstellung, was eigentlich bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts immer so weiterging – jedenfalls sieht man an diversen Stellen eher dilettantische Bemühungen, die Gebäude mit etwas Beton zumindest vor dem Einsturz zu bewahren. Was die Baufälligkeit betrifft stellen wir uns in den kommenden Tagen denn auch häufig die Frage: so viele Touristen – so viele Möglichkeiten, wenn nicht unter die Räder, dann doch unter die fallenden Klamotten zu kommen. Da würde ein deutsches Ordnungsamt mal richtig für Ordnung sorgen!

Ta Prohm - Der meiste fotografierte Spung der Welt

Ta Prohm – Der meiste fotografierte Spung der Welt

Also gehen wir hinein… Jenseits des Dammes, der den 200 m breiten Graben überbrückt, erheben sich in der Ferne zunächst hohe, aber doch erstaunlich kleine Tempelgebäude auf freiem Feld. Aber keine Sorge, die Tempel werden größer, je näher man kommt (wie überraschend… ) und schließen sich zusammen zum größten Sakralbau der Welt. Natürlich führt uns Mr. Thanh erst einmal zur APSARA-Hütte, die ein wenig zu Restaurationstechniken erklärt; wir können auch Guido Westerwelle „Hallo“ sagen, der hier stellvertretend für die Republik hängt. Und dann geht’s hinein in die Tempelanlage. Mr. Thanhs Kenntnisse sind wirklich umfassend –  er macht das ja auch möglichst täglich, wenn denn der Touristenfluss ausreichend ist, die Hauptsaison muss den Unterhalt für die 6köpfige Familie bringen. Die zu entdeckenden Dinge sind so reichlich, dass auch er vor den Reliefs stehen bleibt und verblüfft ist, endlich den abgeschlagenen Kopf eines Kriegertorsos zu entdecken, den er schon so lange gesucht hat. Diese Reliefs erzählen eine reiche Geschichte und viele Geschichten – Khmergeschichte vor allem, Schlachtengetümmel, religiöse Riten. Es kommen Söldner aus fernen Ländern vor, Kriegsgefangene, es wird auf den Reliefs gekocht, getrunken, geliebt. Mönche, Lehrer, Baumeister. Und natürlich: König und Königin von vorn und hinten und ihre Symbole. Die Südseite zeigt auch einen Abriss der Baugeschichte, vor allem die hierarchische Orrdnung. Der Baumeister war der Gunst des Königs, der ja Auftraggeber war, insofern völlig ausgeliefert, weil „man“ nur dem König zuliebe bauen konnte. Will sagen: nur ein beliebter König konnte so viele Freiwillige bereitstellen, wie es dieses immense Bauvorhaben erfordert, und nicht nur diese Tempelanlage, sondern auch andere wurden in unglaublich kurzer Zeit erstellt. Freiwillig… kennen wir ja von Asterix‘ und Obelix‘ römischen Gegnern.  Die gilt es halt zu bestimmen. Aber vielleicht sorgt eine solche freiwillige Leistung ja für gutes Karma, insofern liegen wir mit unserer Sichtweise der Dinge mal wieder nüchtern-säkularisiert falsch.
Und weiter geht es; man kann zum Beispiel stundenlang den Frisuren der Apsara-Tänzerinnen nachforschen. Fließbandarbeit war bei den Steinmetzen nur am Rande gefragt. Jede Tänzerin, so sehr sie sich ähneln mögen, eine eigene Persönlichkeit. Und die ganze Masse Sandstein ist mit nicht enden wollenden Ziselierungen verziert. Einfach… ich sagte es schon: unglaublich.
Die Anlage ist gewaltig und beeindruckend – und voll. Den Aufstieg zum zentralen Turm sparen wir uns für einen anderen Tag auf und gucken uns lieber einen Moment die Touristenströme an, die die steilen Treppen hinauf- und hinabklettern. China muss halb entleert sein, und dann diese Selfie-Schießer! Fragt sich, wie die Selfieinteressenten im Gedränge der Hochsaison zum Schuss kommen.

Wir ziehen weiter – Mr. Thanh ist Spezialist im Erkennen von Besuchszeitlücken, und so landen wir in Ta Prohm während der Mittagszeit für Südostasiaten: ab 11:30 h wird es hier „erträglich“. Ta Prohm ist nun tatsächlich so, wie man es sich beim Stichwort „Angkor Wat“ vorstellt – Urwaldriesen überwachsen Tempelruinen. Vielleicht sollte man hier einmal anfügen, dass „Angkor Wat“ eigentlich nur den vorher beschriebenen Zentraltempel bezeichnet. Angkor war das Zentrum des Khmerreiches vom 9. bis ins 12. Jahrhundert, immerhin mit 1 Million Menschen (unglaublich!). Die heute besuchte Region um Angkor Wat umfasst zahllose Tempelanlagen, und im Zentrum liegt Angkor Thom, eine 3×3 km umfassende Schutzanlage, die einen Königspalast aus dem 12. Jahrhundert und einen weiteren beeindruckenden Tempel enthält, nämlich den von Bayon. Und der bildet dann auch – nach einer genüsslichen Mittagspause – unseren Tagesabschluss. Mr. Thanh trifft den Besuchszeitpunkt genau: es sind kaum noch Besucher da, auch zieht sich der Himmel zu, was zum gespenstischen Eindruck beiträgt und seine Geschichten vom Khmeralltag, die er vor den Tempelreliefs vorträgt, noch unterstreicht, dazu lächeln 216 riesige Buddhagesichter milde auf uns herab. Bayon?! Mein Favorit. Unglaublich.

Mit diesem Tempel-Tag haben wir uns einen Ruhetag für müde Beine erlaufen, den wir in der Stadt Siem Reap verbringen. Wir frequentieren nicht die „Pub Street“, wo alles, was Touristenbeine hat, gegen Abend aufläuft, aber man kann auch wunderschön modernes Kambodschaleben begucken, auf dem Markt, in den Wats, auf der Straße.  Naja, kennt Ihr ja alles schon aus früheren Beschreibungen, aber wir schauen gern in Hinterhöfe, stehen gern vor diesen Werkstätten, die man tagsüber auf dem Bürgersteig ausbreitet, um aus Stahlplatten mit der Hand und ohne weitere Schutzbekleidung mit dem Brenner dicke irgendwas-Scheiben zu schneiden. Naives Staunen, immer wieder, und danach ein Coffee Latte im „Blue Pumpkin“, wo man auf tiefen Sofas hocken und Vishnu und Shiva gute Männer sein lassen kann.

Angkor Wat - Des Touristen höchstes Glück

Angkor Wat – Des Touristen höchstes Glück

Nächster Tag: Tempel. Tempel in Eigenregie diesmal, wir nehmen die Hotelfahrräder (zu dem Hotel gibt es dann noch einen Nachschlag, später!). Immerhin liegt Angkor Wat an die 8 km entfernt draußen, und weitere Tempel noch entsprechend weiter. Heiß. Schweißtreibend. Wir schließen die Räder an der „Terrasse der Elefanten“ an, Elefanten in Stein gemeißelt, wohlgemerkt. Ich bin in meinen brasilianischen Shorts angeradelt gekommen und bekomme von der Kambodschanerin auf der anderen Straßenseite ein fröhliches Winken, als ich die Beinlinge an die Hose zippe. Das kriegt kurz später eine besondere Bedeutung, denn vor uns spaziert ein junges Paar über den Wall zum Königspalast… Hottest Pants, möchte man sagen, und der Wächter am Zugang zur Anlage sagt schlicht: „…no!, Not like this!“. Die junge Frau wendet sich wutschnaubend ab: „…Incredible…!“ . Ich biete ihr mein Seidentuch aus Laos an, das ich sicherheitshalber mitschleppe, für was für eine Verhüllung auch immer; eigentlich ist sie so entrüstet über die Unverschämtheit, sie nicht einlassen zu wollen, dass sie es nur zögerlich annimmt.  Ich wiederum finde es unglaublich, dass man es bis mitten hinein nach Kambodscha oder Thailand oder Laos schafft, ohne sich bewusst zu sein, dass diese Tempelstätten auch nur im Entferntesten für die Ortsansässigen eine spirituelle Bedeutung haben könnten. Wirklich unglaublich. Als wir mit dem Tempel und der schönen Aussicht von oben fertig sind, bekomme ich aber von zwei jungen deutschen Touristinnen eine andere Sichtweise der Dinge serviert. Da sie vorher in Indien und Burma waren, kommen sie „vorbereitet“ und in Sarongs gewickelt, aber auch hier besteht Unverständnis dafür, dass man Spaghettiträgertops und freie Bauchnabel moniert: „… muss man wohl mit leben, aber hier laufen doch sowieso nur noch Touristen rum!“.  Ich find’s ignorant… Unglaublich.

Adopt a Garuda!

Adopt a Garuda!

Und wir?! Nach Preak Khan – wild, verfallen, überwachsen, mit der Möglichkeit einen Garuda zu adoptieren. Garudas sind die Schutzgötter jener Zeit, halb Mensch, der Rest Löwe und Raubvogel gemischt. Gern sitzen sie auf dem Kopf der Schlange, die das Symbol des Königs ist, genauer gesagt: auf einem der sieben Köpfe. Diese Schlangen-Drachenwesen, getragen von einer Vielzahl von Göttern und Dämonen (zu gleichen Teilen, natürlich!)  bewachen auch die Zugänge nach Angkor Thom, vier an der Zahl. Aber da sich der Erbauer von Angkor Thom schon langsam dem Buddhismus zuwendet, sind die Tore von Türmen mit einem lächelnden Buddhagesicht in alle vier Himmelsrichtungen gekrönt. Dass der Lächelgrad je nach Blickrichtung ein unterschiedlicher ist, haben wir nicht nachvollziehen können, aber die Idee ist schön: ein strahlendes nach Osten, der aufgehenden Sonne und dem Leben entgegen, in Gegenrichtung, zur untergehenden Sonne und dem Tod entgegen gefasst und melancholisch. Dazu Gnade und Gelassenheit. Wenn es doch nur dabei bliebe. Auch Buddhisten können anders…

Jetzt ist Schluss für heute – wir sind zurück auf AKKA. Ich liefere Bilder nach, diese hier sind nur ein paar Stellvertreter. Mein Hauptbildlieferant ist mit der unglaublich unspirituellen Reparatur der Kühlbox beschäftigt…
We’ll be back shortly!

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