Pangkor Marina, 27.6.2015
Die Woche ist um, und ich wollte so gern zeitnah aus Kambodscha berichten, aber das hat nicht geklappt. Die AKKA ist voller Löcher, denn der Eigner hat im Schweiße nicht nur des Angesichtes zahlreiche (jawohl, eine HR42 E hat zahlreiche!) Seeventile ausgebaut, wir haben Ersatzteilpakete ausgepackt, fehlende Teile gejagt, außerdem gab es diese Woche keinen Mittwoch, denn am Mittwoch sollten eigentlich die frisch lackierten Bodenbretter wiederkommen, und ohne Bodenbretter und Niedergangstreppe ist jeder Gang ins und durch’s Schiff ein Akrobatikakt. Nicht geschwindigkeitsfördernd… Kein Mittwoch, keine Bodenbretter. Oder umgekehrt. So ist sie eben dahin, die Woche, und jetzt kommt als Erstes gleich das Letzte, nämlich der Bericht aus Phnom Penh.
Kambodscha ist so sehr groß nicht – ungefähr halb so groß wie die Bundesrepublik, dafür aber ein hübsches Ei – will sagen, wenn denn Straßen existieren, kommt man leicht von A nach B, und es gibt reichlich Busse, die die Strecke von Siem Reap nach Phnom Penh befahren. Zur Regenzeit hätte man sogar ein Schiff auf dem Tonle Sap nehmen können, dem großen Binnensee, und dann auf dem Mekong direkt in die Stadt, zur Zeit aber nicht – die Regenzeit hat zwar begonnen, aber ohne Regen (nicht besonders verwunderlich, denn wir haben El Ninho…). Direkt gegenüber vom 7Candles Guesthouse fährt ein Bus los, praktisch, außerdem verdienen wir uns bei Ponheary Ly gleich noch ein paar Pluspunkte, denn der Bus ist „normal“, wir fahren mit die Leut‘, nicht mit den Touristen. Gut. Es rappelt ganz schön, selbst auf dieser vielbefahrenen Straße ist es mit dem Aufarbeiten der Infrastruktur noch nicht sehr weit gekommen, und in der wirklichen Regenzeit… uiuiui! Nach 7 Stunden und einem Zwischenstopp mit gerösteten Käfermaden, frittierten Heuschrecken und German Backpacker-Girlie-Kontakt – irgendwie sind wir doch merkwürdige, bestaunenswerte Tiere, in deeeem Alter mit dem Rucksack statt betreutem Reisen! – öffnet sich der Blick auf ein bisschen Skyline, den Mekong, eine Flussbrücke, und wir sind da. Das wohlig-gruselige Stadtgewuselgefühl schlägt sofort zu, wir marschieren die paar Kilometer durch’s Gewühl, die Seitenstraßen von Phnom Penh bieten alles, Garküchen, fliegende Friseure, sehenswerte Polster- und andere Werkstätten, ganze Hauszeilen voller Apotheken, eine an der anderen. Und so weiter. Unser Guesthouse liegt in einem seltsamen Vergnügungs- bzw. Hotelviertel, hier knubbeln sich die Touristen; die Zimmerqualität ist „klein, aber geht schon“, nach 7Candles sind wir ein bisschen verwöhnt. Immerhin gucken wir auf andere Dächer statt in eine der engen Schluchten, die sich hier zwischen den Hauswänden auftun. Wir entdecken ein nettes Café in der Nähe, das uns ein gutes Frühstück serviert, dabei kann ein Teil der Crew Straßenverkehr (wunderbar!) und Mönche beim Almosenempfang bestaunen, während der andere Teil mit den Bedienungen charmiert – sie ist wieder da, die Niedlichkeit der asiatischen Frauenwelt. Ich sollte mir wirklich die Haare hochstecken und ein Blütenkleidchen mit Rüschen zulegen. Garstig.
- Fröschlein, Maden, Heuschrecken
- TukTuk Ride
- Tires! Tired!
- Phnom Penh, Lotosstand
- Pomeloschnitzer
- Meine Südostasien-Ikone: Mönch auf Moped
Wir durchwandern die Stadt, essen Khmerküche in einem doofen Touristenlokal direkt gegenüber, und als wir unsere eher gemischten Gefühle dem Mann an der Rezeption gestehen, lenkt er uns für die Folgeabende in ein Lokal ohne Namen gleich um die Ecke „… das kann ich aber nicht laut sagen, das gibt Ärger mit den Nachbarn…“. Wenn man dort erst einmal die Sprachschwierigkeiten überwunden hat – diese Schwierigkeiten liegen ja zuallererst auf unserer Seite, denn Khmer is‘ einfach nicht, man ist dankbar für jedes englische Wort, das unsere Gegenüber herovrbringen! – kriegt man dort wunderbares Khmeressen zu geringen Preisen. Den Königspalast besuchen wir – das Attraktivste daran ist eigentlich der Gang durch die Straßen und das Spießrutenlaufen durch die „TukTuk“-Anbieter. Mittlerweile ist es ja hier wie anderswo, in arabischen Souks oder karibischen Souvenirmärkten: das Gezerre um die potenziellen Käufer hat deutlich nachgelassen, denn der moderne Mensch, sei es Verkäuferin oder Tourist Tout, ist derartig auf sein Smartphone konzentriert, dass vorbeischlendernde Touristen an Wichtigkeit verloren haben. Dennoch ergeben sich angesichts der Masse der zur Verfügung stehenden TukTuks viele lustige Gespräche, denn „no – thank you!“ kann ja eigentlich nicht ernst gemeint sein, und vielleicht kann man doch für morgen noch eine kleine Tour verabreden?! Vielleicht zum Königspalast? Logisch, wir stehen gerade davor… Nun, also, der Palast ist wie viele andere und Bangkok dann doch sehenswerter.
Was erwarten wir also eigentlich in Phnom Penh, außer kambodschanische Großstadtluft zu schnuppern? Natürlich das, was die meisten Touristen hier erwarten. Khmer Rouge-Geschichte. Wir kriegen gerade eine Mail aus Australien, dass man Phnom Penh ausgelassen habe, weil man ja von den Grausamkeiten der Roten Khmer schon gehört habe – das ist natürlich auch eine Herangehensweise, nicht aber unsere. Das Guesthouse vermittelt uns an John, einen TukTuk-Fahrer, der uns zu den beiden wesentlichen Punkten der Pol Pot-Vergangenheit hier im Stadtgebiet führen soll, das ist das „Killing Field“ Choeung Ek und außerdem Tuol Sleng, eine ehemalige Oberschule, die man 1975 fix in das Foltergefängnis S21 (Sicherheitsbüro 21 – man beachte die Nummerierung, die steigt auf über 300…) gewandelt hatte. Was wir sehen, ist nicht in Worte zu fassen – man muss es halt gesehen haben und gehört, was unsere Führerin zu den Gebäuden und Fotografien zu sagen hat. Wirklich erschütternd, zumal sie selbst die Pol Pot-Zeit und die Feldarbeit auf dem Land gerade soeben überlebt hat; nicht jedoch der Rest ihrer Familie – Intelligenz, sehr verdächtig, eine Fremdsprachenlehrerin und ein ebenfalls studierter Parlamentsabgeordneter. 17.000 Gefangene sind für Tuol Sleng gesichert, die Zahl ist aber wohl höher – von den maximal 20.000 haben insgesamt 7 (sieben!) Personen den Aufenthalt in diesem Gefängnis überlebt; zwei davon sitzen tagsüber im Hof und stellen sich den Fragen von schockierten Besuchern. Einer von ihnen hatte sich als Portraitmaler angedient und nach der Befreiung begonnen, das Gefängnisleben in Bildern zu dokumentieren. Man mag nicht hinschauen… Mit Bitterkeit schließt unsere Führerin die Runde vor einem besonders grausamen Bild ab: „… sie haben die Bauern dazu gebracht, uns Städter umzubringen. Für nichts – die waren damals 14 oder 20 Jahre alt. Dass sie noch leben, nennt man Freiheit…“ Wirklich bitter.
Bedröppelt schwingen wir uns auf das geduldig wartende Tuktuk und werden zum nächsten Punkt gefahren, im Endeffekt ist das der Weg, den die besagten 20.000 Gefangenen aus Tuol Sleng nachts gekarrt wurden: zum „killing field“, der Hinrichtungsstätte mit Massengrab.
Choeung Ek ist ein ehemaliger, kleiner Friedhof der chinesischen Gemeinde und so abgeschieden und ruhig, dass man das Gelände mit einem hohen Zaun umgeben konnte, dazu wurde ein Geräuschschirm aus revolutionären Liedern und Reden gespannt. Die Menschen hier wurden übrigens nicht erschossen – eine Kugel wären sie nicht wert gewesen. Nein, sie wurden erschlagen. „Neue Leute“, also die Städter, wurden mit der Aussage bedacht: “ … es ist kein Verlust Dich zu verlieren, und es ist kein Gewinn, Dich zu behalten!“
Ein wirklich gut und eindrücklich gemachter Audioguide führt einen über 19 Punkte durch das Gelände, das aus einer zentralen Stupa mit Tausenden von Totenschädeln aus den Gräbern und den umgebenden Massengräbern besteht. Außer Sachinformation zum jeweiligen Punkt kann man Hintergrundgeschichten und Interviews anhören, der Besuch kann sich also, wie in unserem Fall, in die Länge ziehen. „Don’t step on bones“ wird man nicht ohne Grund gebeten, denn Knochen und Kleidungsreste werden zwar regelmäßig entfernt, aber jeder Regen spült immer noch neue nach oben. Was für ein Wahnsinn. 20.000 Massengräber in Kambodscha. Über 300 Foltergefängnisse. Die Großstadt Phnom Penh wie alle anderen Städte innerhalb von 3 Tagen völlig geleert, Handel, Schulbetrieb, professionelle medizinische Versorgung, individuelle Kleidung oder auch nur das Tragen einer Brille – alles verboten. Wahnsinn auch in dem Sinne, dass nach der Befreiung=Besetzung durch die Vietnamesen Ende 1979 die westliche Welt bis hin zur UNO fröhlich an dem Glauben festhielt, dass es zwar eine Schreckensherrschaft gegegeben habe, aber dennoch die Exilregierung, bestehend aus nationalistischen Kräften und eben genau diesen Khmer Rouge, die rechtmäßige Regierung von Kambodscha sei; ein ganz besonderer Auswuchs des „Kalten Krieges“. Auch nach Abzug der Vietnamesen 1988 hatte der Schrecken, nämlich der Guerillakrieg der Roten Khmer, erst ein Ende, als die Schlüsselfigur Pol Pot aus dem Leben schied, am 15.4.1998, wie auch immer das geschah. Ich frage mich die ganze Zeit, ob der Kremierungstermin am 17.4. 1998, auf den Tag 23 Jahre nach der Besetzung Phnom Penhs, nicht eine letzte Ehrbezeugung für einen Wahnsinnigen war. Die Parteigänger der Roten Khmer rekrutierten sich zum großen Teil aus Kindersoldaten ohne jegliche Schulbildung, die Handvoll Anführer, von denen die letzten beiden im erst 2014 vor Gericht gestellt wurden, gehörten allesamt der verhassten Elite, den „neuen Leuten“ an. Vom 17.4.75 bis zum Weihnachtstag 1978 dauerte die Herrschaft, in knapp 4 Jahren wurden 25% der Bevölkerung Kambodschas ausgelöscht. Wie kann so etwas passieren? Wird es wieder passieren – oder tut es das gerade im Nahen und Mittleren Osten?
Wir sind noch immer schockiert, auch über unsere eigene Unwissenheit. Ich lese gerade „Stay Alive, My Son“, ein sehr interessantes Buch von Pin Yathay – das Besondere daran ist, dass er einer der wenigen Autoren ist, die diese Zeit im Erwachsenenalter er- und überlebt haben. Auch dieses Buch ein erschütterndes Zeugnis, denn auch Pin ist der einzige Überlebende seiner Familie.
Das war dann das Letzte aus Phnom Penh, und das kam als Erstes, damit ich mit dem Rückblick auf Koh Ker etwas positivere Töne anschlagen kann.






