Jakarta

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Batavia Marina, 6.9.2015

Schwierig, die Bloggerei!  Einerseits möchte ich gern, denn es stützt das eigene Gedächtnis. Und ohne Blog ein Tagebuch zu schreiben ist eindeutig nicht meins. Also: weitermachen. (Das war jetzt mal ein richtig schöner doofer Tagebuchvermerk in eigener Sache!)

Wir sind in Jakarta!  Vor einer Woche noch lagen wir vor Lingga, da schälte sich schon heraus, dass die Anreise zur Sunda Strait so mühsam werden würde wie befürchtet, wegen der vorherrschenden Windrichtung. Die Entscheidung, durch die Bangka Strait zu gehen, war goldrichtig, und es ist auch nicht so eng, wie es auf den einschlägigen Karten erscheinen mag. Aber bis Bangka…  Das war mal wieder so eine Nacht!  Wir hatten ab Lingga eigentlich gute Bedingungen – zunächst wibbel-wobbel aus dem Ankerplatz raus und crash-bang um die Ecke durch die auch in Segelführern beschriebenen Tidenverwirbelungen – danach mehr als 12 Stunden gutes am-Wind-Segeln, wer hätte es gedacht. Zur Nacht hin drückte es uns dann doch zu weit auf die flache Sumatraküste; mit hoher Abdrift, die beim abnehmenden Wind nur noch höher wurde, also wurde die Rappelkiste wieder angeworfen. Für ein Weilchen (mit Betonung auf der Verniedlichung) ging es gut, und dann kamen die Stunden, wo man sich fragte, wie man hier wieder raus kommt. Kreuzen fast ohne Wind? Nö. Also Drehzahl erhöhen. Im Endeffekt lief es streckenweise auf dieselschluckende 2.200 Umdrehungen hinaus mit einer resultierenden Geschwindigkeit von vielleicht 2,5 Knoten über Grund, durch’s Wasser Welle runter bissel mehr, Welle rauf? Festgestampft… Nerve wrecking, wie man so sagt. Wir checken, ob wir, wie schon mal in Tonga, ein Fischernetz eingefangen haben; negativ. Als der Strom nachlässt, „geht es so“, aber es gab doch eine Begebenheit, die es sich zu schildern lohnt: Nachts um 2, ein Funzellicht am Horizont, das schön parallel läuft, wir sind ganz wenig schneller, die Schipperin vertraut auf einen lang andauernden, sauberen Überhofvorgang.

Zur Erinnerung: mein Lummerland. Barge vor Borneo

Zur Erinnerung: mein Lummerland. Barge vor Borneo

Was ist’s?!  Der Schipperin Trauma, eine Barge, und die machen einfach, was sie wollen – und richtig, es kommt dazu, dass sie nach unten eilt, den schlafenden Eigner ins Bein kneift und ein „…komm mal rauf, dieser Schlepper kommt mir einfach zu nahe..“ keucht.  Andreas vermerkt hinterher im Logbuch: „… Barge-Schleppverband, der plötzlich seine Richtung ändert und AKKA vor seinen Bug zwingt, bei einer Fluchtgeschwindigkeit von 2 Knoten in der Bremswelle, bei 2.300 Umdrehungen…“ Endlos langsam schiebt sich AKKA über seine Buglinie. Die fahren einfach Schlangenlinien im Strom – könnte man ja langsam wissen, aber man kann kaum vorhersagen, wann und in welche Richtung diese Schlange schlängelt.  Und so fort. Langsam wird es besser. Und mittags sind wir an der Nordwestecke von Bangka, nicht unter dem weltgrößten Zinnschmelzer in Mintok, sondern im Windschatten vor der Küste.

Fischer, Taxibootfahrer - Herz haben sie. Weit, weit draußen.

Fischer, Taxibootfahrer – Herz haben sie. Weit, weit draußen.

Anker. Pause. Die Marinepolizei kommt in einem offenen Motorbötchen vorbei, ziemlich indonesisch, man weiß manchmal nicht, ob man es mit Banditen zu tun hat; Banditen im Zivildress, auf dem Boot, einer schwimmenden Kiste, steht zwar Polisi und einer hat eine „Polisi“-Mütze, wie es sie auf jedem Markt gibt, aber sie schütteln uns – ziemlich indonesisch! – die Hand, und auf unser Kopfschütteln auf die Frage nach „surat“ (=Papiere) hin reichen sie zwei Päckchen Erdnüsse herüber.

Die Fahrt durch die Bangkastraße tags drauf ist eher unspektakulär, Motoren, Motorsegeln. Gegen Abend kommt angesichts aufziehender Wolken die Idee auf, vielleicht eine kurze Schlummerpause einzulegen und um Mitternacht weiter zu fahren, aber der gedachte Ankerplatz ist voller Stelzenhäuser und die Wolke hat sich mit dem allgemeinen Smog (auch hier brennen die Wälder!) vermischt, also weiter. Noch ist der Plan: in Tobo Ali, am Ausgang der Straße, wird es alles geben, was wir wollen, Diesel, vielleicht sogar ein paar Früchte und Gemüse, wirmüssen nur klarmachen, dass wir nicht einklariert sind. Tobo Ali… im Morgengrauen nähern wir uns der extrem flachen Küste. Zig Fischerboote liegen am Strand, ein verfallender Anleger schmückt die Silhouette einer recht großen Ansiedlung, dicht gedrängte Hausdächer, hohe Betonblöcke (Schwalbennestproduktion, sihe Borneo!). Wir kennen den Ort nur via „Osmand“ ** etwas genauer, die Seekarten halten das nicht vor, die Vergrößerung im Google Earth gibt nichts detailliertes her.  Arrgh, wieso war ich so doof mit der Navionics-for-Android-Sache?!

... außer Häusern nichts gewesen. Tobo Ali

… außer Häusern nichts gewesen. Tobo Ali

Wir liegen auf 4 m, weit draußen, und keine Bewegung an Land. Nichts. Doch, an zwei Stellen steigt Rauch auf, aber kein Fischerboot bewegt sich, nichts. Ein Hafenkapitän ist hier nicht zu erwarten, wem soll man das mit der Einklarierung erklären? Manche Berichte „schwärmen“ in solchen Fällen von Stunden bei der Polizei. Die See am Ankerplatz vergleichsweise ruhig, aber es wellt doch so, dass an eine komfortable Dinghyfahrt nicht zu denken ist, schon gar nicht mit Diesellast.  Und wo soll man an Land gehen?!  Wir rufen die Schwester in Bremerhaven an, rufen ein „herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag“ in den Äther und entscheiden: Next stop – Jakarta. Zwei Tage/Nächte später sind wir da. Bemerkenswert: 30 Stunden gutes Segeln inklusive, bis uns in der letzten Nacht die Puste ausgeht.
Der Kinken an der Sache: darauf waren wir nicht wirklich vorbereitet, wir hatten uns keinerlei Detailinformation über Jakarta besorgt, die Segelführer geben nicht wirklich viel her. Aber was wäre der segelnde Mensch ohne funktionierende Landbasis? Also schiebe ich eine Funkmail an die Rasmusse von GIMBOSALA (Schlei) und KASSIOPEIA (Brasilien/Nürnberg) raus – sagt mal, könnt Ihr mir die Kontaktdaten für die Mutiara-Marina in Jakarta ergoogeln? Wir hatten noch nicht „Mittagssuppe“ gerufen, als die Antwort aus Nürnberg da war, sensationell. Gleichzeitig schreibt uns Ruth, die Sekretärin in Bali, die uns das Cruising Permit (CAIT) besorgt hat, dass sie uns Dockmaster Putu in der Batavia-Marina empfiehlt. Die Batavia-Marina ist zwar nirgends verzeichnet und in diesen südostasiatischen Gegenden ist die Stadtentwicklung so rasant und chaotisch, dass die Marina überall sein kann, nach ein bisschen Mailverkehr ist aber auch das geklärt. Die Position, die wir bekommen, ist auch ein bisschen „daneben“, wir zickzacken durch auf Reede liegende Kleinfrachter, gucken uns die Augen aus, versuchen „hilfreiche“ Winker zu ignorieren, aber dann rutschen wir über flachen Schlick in den Kanal, der zur Marina führt. Wir sind die einzigen Langfahrer hier, die Leute indonesich freundlich, ich kann das nicht oft genug sagen. Und nach einem abenteuerlichen Fußmarsch durch die industriell-verslumten Hafenviertel habe ich an einer Straßenecke sogar eine Telefonkarte erstehen können. Szene zuvor: heruntergekommenes Wohnviertel, viele kleine Shops am Straßenrand, einer hat Telkomselkarten in seiner Auslage. Selamat siang. Keine Reaktion, der alte Herr übersieht mich geflissentlich, dann Bewegung: ein junger Mann – Sohn, Enkel? –  knöpft das Hemd zu und stopft es in den Hosenbund. Verlegenes Lächeln: „… doch, die Karten die hier liegen sind Telefonkarten.  Aber die sind alle verfallen!“. Zwei Kilometer weiter. Der Straßeneckenstand, unter der mehrspurigen Betonüberführung, zwischen all den Garküchen und Saftständen, der hat’s. Und eine junge Kundin spricht sogar ein bisschen Englisch, dessen die jungen Verkäufer nicht mächtig sind.  Alles gut.  Durch Abwasserdünste und über die zahlreichen plattgefahrenen Ratten steige ich zurück, sind ja nur ein paar Kilometer (es zog sich, will das sagen).

Batavia Marina, festlich beleuchtet

Batavia Marina, festlich beleuchtet

Abends dann das andere Jakarta. Himmel. „Batavia Marina“ ist ein großer, alter Backsteinklotz, der als Veranstaltungsort dient. Wir schleichen um’s Haus… Andreas verweilt ausdauernd in den Dämpfen der Garküchenstände, im Rauch der BBQs, die zahlreich im Hof des Gebäudes verteilt sind. Hunderte von Gästen, fein gekleidet, feiern eine Hochzeit. Wir nehmen das Dessertbuffet ab. Zugreifen und „zack“, das wäre doch was, und es würde sicher keiner merken… aber wir sind ja nette Besucher und starren nur ein bisschen. Chinesische Familienhochzeit mit vielen malay-indonesischen Freunden des Paares. Andreas kommentiert angesichts der Fülle – an Gästen und an Speisen – : „… der arme Brautvater!“  Arm? Ich bin sicher: genau das nicht!  Jakarta hat schon am ersten Tag zwei Gesichter für mich: ganz arm und ziemlich reich.

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*OSMAND – das ist Open Street Map for Android.  Begegnete mir zuerst bei Radfahrern, die aus Tadschikistan kommend in unserem Dorfhotel in China wohnten und ihre Radreise von Amsterdam aus damit planten bzw. danach navigierten. Ich habe mich in die 5,99‚¬ Unkosten für die Bezahlversion gestürzt. Urteil: absolut genial, egal, ob in Singapur, in Jakarta oder vor Tobo Ali…  Ist nämlich ein Offline-App, die Karten sind kostenlos…

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