Unterwegs

Beaufort/North Carolina, 19.11.2020

Da gibt es doch freche Leser, die einem Erinnerungen schicken: „…Euer letzter Eintrag ist vom 9.11.“ Das ist wirklich strafwürdig. Obwohl ich ja schon über dem Durchschnitt der letzten Monate liege…

Also, kurz gefasst: wir brechen gleich nach Charleston auf, die Entscheidung für den Kurs durch die Bahamas ist gefallen. Wir hatten eine nette Woche auf dem ICW, mit Übernachtung in Coinjock, leider auf der falschen Seite des Kanals, so dass es keinen Nachschlag an grünem und rotem Pfeffergelee gegeben hat. Muss ich mir für kommende Vinaigrette was Neues ausdenken (back to the roots, back to honey). Danach eine wunderschöne Ankernacht ein paar Meilen hinter der Alligator River Bridge, dieses Mal ohne Chironomidenattacke (wir haben kürzlich noch in Deltavilla einige Zuckmückenleichen gefunden!). So richtig im Off. Weißkopfseeadler und andere netten Flieger gibt es da zu sehen – allerdings auch weniger nette, die von der Airforce Base nahe Norfolk starten. Übungsnachmittag für Kampfjets. Dieser Tage denkt der Mensch gleich daran, dass sie nun Donald ausfliegen, oder so – war aber nicht. Danach Frischest-Shrimp essen am etwas derelikten Dock von R.E. Mayo, das kennen wir ja schon. Der gemeine Amerikaner, der dort anhält, holt sich dort eine Tüte Frisches, bleibt aber nicht über Nacht, eben etwas zu derelikt, so ganz ohne Strom und so (dafür ist die erhobene Gebühr vernachlässigenswert). Wir finden’s nett. Die Regenschleppe von Sturm Eta wettern wir am freien Citydock von Oriental ab, ein Tipp der Segelyacht Hi Flite, die uns auf dem Weg über den Neuse River anpreit. Man ahnt nicht Böses, plötzlich ruft jemand in der Leere „Akka, Akka“. Huch, wer da? Hi Flite waren 2017 unsere Nachbarn in Trinidad, eine Yacht mit Kompostklo, seitdem finde ich diese Idee immer neu bestechend, konnte den Eigner aber noch nicht dafür erwärmen. Und weil es so gnadenlos nass in Oriental ist und gleich auch ein freundliches Städtchen, mieten wir uns nach Absitzen der 2 freien Tage noch für 2 weitere im Yachtclub ein. Heiße Duschen, und Handtücher werden gestellt. Das nennt man „pampern“, und obendrauf gibt es eine weitere Attraktion: Hoover und Eisenhower. Hoover belegt gern freie Bürostühle, während Eisenhower sich vorzugsweise auf der Tastatur des Marinacomputers fläzt: zwei sehr bräsige Kater. Ringsum freundliche Leute, denen wir was vom globalen Pferd erzählen dürfen, auch Cecil ist wieder da, der sich in der vergangenen Woche so zuversichtlich hinsichtlich des Bidensieges gegeben hatte. Neue Devise: „…ich werde erst skeptisch wenn sie zum Abschied das Kapitol anstecken. Wird schon!“ Sein Wort in Gottes Ohr.  Kurz: Oriental war den Wochendstopp wert, zumal auch die Winde für eine Weiterreise schlecht waren. Aber die steht nun an: auf nach South Carolina, Charleston wartet schon. Irgendwie spukt mir da Rhett Butler samt Scarlett O’Hara im Kopf herum, aber möglicherweise  ist das Georgia – vom Winde verweht, meine Erinnerung an den Schmonzes. Wir werden uns auf dem Weg nicht verwehen lassen. Die Winde sind eher schwach, wir geben trotzdem unser Bestes.

Flaches Wasser

Seeschwalbentreff auf dem ICW

Unterwegs zum Alligator River, 9.11.2020

Was für ne Woche… erst ins Wasser geplumpst, dann Präsidentschaftswahl mit fraglichem Ausgang. Wir können, wie eigentlich 50% der Amerikaner, noch immer nicht fassen, wieviel Trumpsupport es gegeben hat und mit welchen irrationalen Argumenten da hantiert wird. Aber nun ist es vorbei, zunächst mal. Wir haben mit den Fischern an der Southern Railroad Bridge in Norfolk unsere Wartezeit mit ein bisschen Gestikulieren und Hüftschwenken überbrückt – das Gegenprogramm dazu hatten wir gerade überholt: ein Bötchen, bei dem passenderweise die Konföderiertenflagge schlapp herunterhing. Es sind nicht allzu viele Flaggen, die uns begegnen, aber sie reichen von „Dump Trump“ bis „Make Liberals Squeak“.

Mittlerweile sind wir schon in North Carolina, das Wetter is gut, Wind kann man hier im engen Fahrwasser ohnehin nicht nutzen, insofern passt die relative Windstille. Wir stellen gerade fest, dass die späte Abfahrt von unserem Übernachtungspunkt in Coinjock einen Vorteil hat: man wird nicht so oft überholt – als wir vorhin um kurz nach 6 aus dem Luk schauen, sind die fleißigen Mitreisenden schon zum Großteil abgelegt.

Plan für heute: durch die Alligator Bridge und ein paar Meilen danach ankern, und dann schauen, wo wir uns vor dem mistigen Donnerstag verstecken, aber da lassen wir die Windvorhersagen noch ein bisschen näher kommen. Eta muckelt in Florida und Georgia herum, das tangiert uns nur am Rande.

Der Eigner rudert durch’s flache Wasser, da muss ich mal Tipps zurInterpretation der verschiedenen Elektronikoptionen geben; wir nutzen unseren Gerätereichtum bis zum letzten… der Plotter sorgt für die Übersicht, Tablet eins präsentiert Navionics, Tablet 2 Aquamaps… und vier Augen starren auf die Tonnen.

Can we have Merkel for a bit?

Deltaville, 2.11.2020

Wir stehen immer noch an Land, na sowas. Heute waren wir wirklich ganz nahe dran am „Splash“. Freitag war das Wetter zum gewünschten Zeitpunkt ganz mies, der Regen flog mir auf dem Radelweg zum Klo waagerecht in die Augen, außerdem hing noch eine andere reparaturbedürftige Yacht in den Gurten des Travellifts. Und Lee, Yardchef und Aushilfsfahrer, hatte auch keine wirkliche Möge. Vertagt. Auf heute. Als es eben 14:30 schlägt, machen wir uns auf die Suche  und finden den Travellift arbeitslos und verwaist. „…zu viel Wind … zu viele Boote am Ponton“, was einem alles so einfällt; noch dazu fast die gesamte Crew der Schwester-Marina Stingray Point heute  coronakrank – man unterscheide hier zwischen Covid19 und Corona; auch die Coronalast aus zu vielen Bierflaschen führt zu Unwohlsein (besonders am Montagmorgen).  Nun denn – es ist wirklich arscheskalt heute, der Wind weht gemein, uns ist es recht, wir sind fertig für’s Zuwassergehen, und morgen sind wir dran. Punkt. Und das wird spannend, Akka war schließlich 15 geschlagene Monate an Land.

Eine kleine Sorgenfalte weniger haben wir schon jetzt: kurz sah es so aus, als ob wir entgegen dem Plan, durch den Intracoastal Waterway nach Beaufort in North Carolina zu tuckern, draußen im Atlantik am schauerlichen Cape Hatteras vorbei segeln müssten: eine Barge rumpelt letzte Woche gegen die Eisenbahnbrücke im Hafen von Norfolk, und die Coast Guard spricht daraufhin von „bis zu 30 Tagen Verzug“, bis die Brücke wieder öffnen kann (ja, man kann unter der geschlossenen Brücke durchfahren. Wenn man unter sechs Fuß Höhe misst. Wir messen achtundfünfzig, das wird knapp.) Die Segelstrecke ist machbar nur einfach nicht unsere erste Wahl. Wir fragen rum nach persönlichen Erfahrungen, und die lauten von „kein Problem, wenn man aufpasst“ über „entweder 30 Meilen westwärts von Hatteras (das ist der Intracoastal Waterway!) oder 200 Meilen östlich vom Golfstrom“ bis „never in my life, not at this time of the year“. So sind sie, die sozialen Medien. Aber im Ernst, nicht nur, dass man es hier vor der Tür mit dem Golfstrom zu tun hat, es ergibt sich sofort verstärktes Wetterraten, und das sieht derzeit gar nicht so nett aus, oder doch zumindest etwas verwirrend: hatte das amerikanische GFS-Modell gestern noch einen fetten Starkwind-Blob im Süden, nicht so jedoch ECMWF , das europäische (häufig zutreffendere) Modell, sieht es heute genau andersherum aus… und wenn Wettermodelle sich so widersprechen, ist Vorsicht die Mutter unserer persönlichen Porzellankiste. In Hampton und Norfolk, also am Ausgang der Chesapeake Bay, sitzt gerade ein Haufen Yachten, die sich den Kopf blutig kratzen, denn die wollen alle zu den Bahamas. Via „Blob“…  Aber da die Brückenbauer in Norfolk schnelle Arbeit geleistet haben, bleibt unser Kopf in dieser Hinsicht ungekratzt. Freie Fahrt. 
Wir kratzen dennoch, denn das Ziel unserer Reise ist – wie sollte es in diesen Zeiten anders sein – ungewiss. Sollen wir Beaufort-St. Thomas anliegen? Das wäre Covid-testtechnisch schlau, da St. Thomas US-Gebiet ist, und man sich dort testen lassen könnte, aber es ist auch ein Stück Arbeit – 10 Tage rechnen wir; nach 15 Monaten Pause gleich mal ein „richtiger Schlag“, noch dazu einer mit Wetter-Hin-und-Her. Mit dem Test reist man dann nach St. Martin, jedenfalls zur Zeit. Allerdings haben die CARICOM-Staaten gerade ihren hehren Plan, eine Reise-Blase zu bilden, in der man ohne Quarantäne umhersegeln könnte, wieder aufgegeben.  Plan B wäre der „Thornless Path“, der so dornenlos auch nicht ist: durch die Bahamas südostwärts bummeln. Das heißt: ganz viele Wetterstopps einlegen und eigentlich viel gegenan segeln, durch die Turks&Caicos Richtung DomRep – alles weiße Flecken auf unserer Landkarte. Es schlösse sich Puerto Rico an und dann die Virgins. Zeitplan? Dat duurt. Wochen. Monate. Aber schee wär’s scho‘.  Natürlich könnte man auch in den Bahamas gänzlich versacken, wie es so viele Amerikaner tun, aber… wir wollen nicht klagen. Irgendwohin wird es gehen.

Erst einmal ist morgen der 3.11., da hat nicht nur meine Freundin Ulrike Geburtstag (Alles Gute!), sondern, genau… der heißeste Tag des bescheuerten Jahres 2020. Nicht nur in Europa beißen sich die Politikinteressierten die Fingernägel kurz. Als wir eben zur Diskussion unseres Splashs im Marinabüro sind, mache ich, wie so oft dieser Tage, Wahlwerbung –  ganz einfach „…did you vote already?“ oder „…pleeeaase, go voting“ in die Menge werfen. Der eine Mitarbeiter „klar, morgen früh“, während Missy (die Sekretärin) schamhaft verstummt.  Was ’n da los?  Das Rätsel ist nach ein paar Minuten gelöst: auf dem Steg treffen wir Cecil und halten einen langen Politikschwatz, schließlich hat er eine Biden/Harris-Fahne ans Stag geknotet. Weitgehend unkenntlich allerdings – warum das denn? „Ach, ich habe heute mit Missy gesprochen. Die guckt ja den ganzen Tag auf uns herunter… – das kann ich ihr nicht antun!“ Trump-Wählerin, wie so viele hier. Ist doch nett von Cecil. So wie ich sie einschätze, hätte ein echter Trump-2020-Vertreter das für eine Biden/Harris-Sympathisantin nicht getan.  Aber morgen, wenn Cecil vor Anker geht, geht die Fahne hoch, das hat er versprochen. Wir schnacken noch lange, über Wahlen in den USA allgemein, von Andrew Jackson über Ulysses Grant zur 1876er Wahl, über Wahlabsprachen, über Sozialismus und was Amerikaner dafür halten („… our nation is based on socialism!“; Puritaner-Tradition halt) und natürlich darüber, warum Trump trotz seines … Adjektiv gestrichen… Auftretens immer noch so viel Gefolgschaft hat. Dazu gab es übrigens im Spiegel einen ganz interessanten Artikel „Trump, meine amerikanische Familie und ich“ – gibt es auch auf der ARD-Mediathek zum Anschauen.  Erklärt einiges, aber lässt es einen trotzdem nicht verstehen. Das Gespräch mit Cecil auf dem Ponton endet mit kalten Füßen. Und der freundlichen Frage: „… can we have Merkel for a bit?“  Ich reiche die Frage mal nach Berlin weiter – vielleicht ist Angela M. ja an einem Anschlussjob interessiert, Cecil würde sie sofort nehmen. „… gute Regierungsführung, das brauchen wir. Notfalls nehmen wir Jacinda Ardern“. Könnten wir Angela Merkel ein Weilchen ausleihen? Fragt sich nur, wer das dann in Berlin macht.