Der Honig

So richtig viel gibt es nicht zu erzaehlen aus Ayacucho – erst hat der Chef eine Erkaeltung, dann sattele ich mir dieselbe oben auf meinen gluecklicherweise abgeklungenen Husten drauf – schnief. Also verbringen wir die Zeit zu einem Grossteil auf unserer Dachterrasse, empfangen Besuch, wie den von einem deutsch-belgischen Noname-Paar, die uns halt als deutschsprachige Abendesser identifiziert und scheusslich bildhaft ueber die Reise von Andahuaylas nach Ayacucho berichten koennen; das wollen wir bald in der anderen Richtung erledigen. Rafael kommt zum Schnacken, hessischer Zungenschlag aus Berlin; Nat und Anita, aus Belgien und zuletzt in Iquitos getroffen, haben Tipps fuer Bolivien bereit. Ich hole „Nonnenfuerzchen“ aus dem Kloster gegenueber, wie ICH finde sehr leckere Pecan-Kekse, dem Gatten sind sie zu trocken; wir haben den Haushaltsgeraetebestand (bisher: 1 Satz Besteck, jeweils 2 Becher und Trinkflaschen sowie 2 Pucallpa-Faehren-Fressnaepfe!) um eine Thermosflasche und einen elektrischen Wasserkocher erweitert und koennen so Tee und Kaffee grenzenlos geniessen. Eine Waschmaschine kommt mir allerdings nicht mehr in den Rucksack und mit dem Kocher werden wir spaetestens in Cusco jemanden begluecken (wenn man denn kein Wasser zum Inhalieren mehr erhitzen muss).

Zwischenzeitlich gibt es auch schon mal einen Wolkenbruch, das kennen die Leute von der Hosteria Crillonesa wohl schon gut, denn kaum hat es aufgehoert zu regnen (und ist das Wasser unter den Betten an der Badezimmertuer angelangt 😉 ), kommt der Wischservice. Andreas‘ Einwand, man koenne vielleicht doch einen kleine Schwelle…, stoesst auf Unverstaendnis. Also auch weiterhin: bei Zimmer 42, immerhin das beste des Hotels, ist Vorsicht in der Regenzeit angesagt ;).

Natuerlich gehen wir auch spazieren – die Stadt ist wirklich sehenswert, nicht nur die praechtige Plaza Mayor umstanden von so genannten „Casonas“, dickmauerigen spanischen Kolonialgebaeuden, jeweils mit Innenhof, sondern die gesamte Innenstadt ist so erhalten. Teils normal bewohnt , teils mit Geschaeften oder Anwaltsbueros belebt, oder gar renoviert und mit Restaurants besetzt, in denen man „non-pollo“-Food in Form von Salaten geniessen kann; „cuy“ gibt es zwar auch, aber irgendwie habe ich eine Meerschweinchen-Esshemmung, zumal Heiner mit weismachen wollte, dass man sich das Schwein vor dem Essen aussuchen kann. Erinnert mich fatal an Tierversuchszeiten in der Pharmakologie… Dagenen ist das Lokal „El Monasterio“ mit dem gleichnamigen Salat besonders lecker und einen Zweitbesuch wert – gestern abend allerdings etwas laut, denn es finden im Patio eine Musik-und Tanzveranstaltung statt; Andenatmosphaere pur, wirklich schoen anzuschauen und zu hoeren. Zuschauerschaft: peruanisch, Gringos koennen wir nicht entdecken.
Ayacucho hat eine ziemlich bewegte Geschichte – nicht nur als Platz fuer Befreiungsheroen. Simon Bolivar hatte die Stadt Huamanga nach der entscheidenden Schlacht (schrieb ich das etwa schon??) in „Stadt des Blutes“, Ayacucho, umbenennen lassen. So weit so gut, aber der Name Huamanga begegnet einem allenthalben, und das hat seinen Grund – viele Buerger wollen den alten Namen wieder haben, um die Geschichte der juengsten Vergangenheit vergessen zu machen: hier nahmen die terroristischen Aktionen des Sendero Luminoso, des „Leuchtenden Pfades“ ihren Ausgang, die im Peru der 80er und 90er Jahre bis zu 70.000 Menschen, vor allem Indios, das Leben gekostet haben sollen, und besonders in den Bergen hier um die Stadt haben ganze Dorfbevoelkerungen ihr Leben gelassen.

Wir wuerden gern mehr darueber wissen, aber das ist halt der Nachteil an so eine „Durchreise“ – fuer lange Internetsitzungen reicht die Zeit nicht, fuer lange Gespraeche fehlen die Spanischkenntnisse. Dieses klein-klein-Wirtschaftssystem, in dem eine Schuhreparatur 1 Sol kostet, in dem Frauen mit Bergen von Muetzen und Fleece-Hosen unter unserem Balkon sitzen und so gut wie nichts absetzen; selbst die gut gehenden Geschaefte mit den Saft-Karren, den Churro-Anbieterinnen oder dem Obst (heute: das Kilo Erdbeeren fuer 1,5 Soles, wir werden gleich noch zuschlagen!) – wie ernaehrt das eine Person, geschweige denn eine Familie? Es sind ja eben nicht zig Leute taeglich, die sich eine Schuhsohle ankleben lassen. Broetchen kosten – dankenswerterweise natuerlich – 60 Centesimos; fuer die ganze Tuete fuer zwei verfressene Gringos, wohlgemerkt. Nur: wenn wirklich die Lebensmittelpreise steigen, wie schon in Mexico oder Bolivien, dann wird es knapp mit der Ernaehrungslage fuer eben alle diese Strassenverkaeufer. Obwohl doch die eine oder andere mal ein Schnaeppchen machen kann, mit Gringos. Was kostet der kleine Napf Honig? Schweigen. Denken. „1 sol!“ Wir grinsen und bezahlen gern. Mehr noch allerdings lachen wir alle zusammen gleich im Anschluss, denn Andreas guckt der naechsten Kundin ueber die Schulter, um den wahren Wert des Honigs zu ergruenden: 50 Centesimos. 100% Gringoaufschlag. Gut so!