Fale, Fale

Kakao an Sitis Gemüsestand
Speziell für das Atelier Cacao in Berlin: Kakao an Sitis Gemüsestand.

Apia, 4.8.2012

Schnell, schnell! Ehe in Europa der Sonntag zu Ende geht…

Bei mir ist ein bisschen die Blogunlust ausgebrochen, muss ich gestehen; noch dazu gibt es im TO-Forum eine dämliche Diskussion darüber, dass man sich – in anderem Zusammenhang – doch trauen solle, negative Reiseerfahrungen zu berichten.  Was für ein Quatsch – wir erleben so selten Negatives, und wenn, dann ist es meistens auch nicht berichtenswert; wenn doch, dann erfährt man es hier.  Was zu der Frage führt, was denn überhaupt berichtenswert ist – und da fällt mir derzeit wenig ein.

Also, Inselbericht.
Erstens – auf der Südseite von Upolu ist es kühler und Sonnenallergien, Hitzepickel etc. klingen schlagartig ab. Der fehlende Schweiß macht’s. Jetzt sitzen wir wieder in der „Suppe“.
Zweitens – Samoa gefällt uns!

Brotfrucht, Kokos, Haus. Was braucht man mehr?

Brotfrucht, Kokos, ein Dach und eine leichte Brise. Was braucht man mehr?

Mittwoch gab es für uns ein kleines Leihauto, das dann plötzlich zu einem ausgewachsenen 4-Türer mit Allradantrieb heranwuchs; ich hatte es schon geahnt, die Verleiherdame hatte am Vortag zum Abschluss unserer Verhandlungen erschreckt von ihrem Tagebuch aufgeschaut… das Auto, das wir haben wollten gab es sicher nicht – und ein größeres war soeben als Ersatz versprochen worden. Wir hatten nichts dagegen und konnten starten, was nun übergangslos zu den Banalitäten des Inselguckerlebens führt.

Wir haben konsequent alle Sehenswürdigkeiten und „oh und ah“-Stellen ausgelassen. Im Osten der Insel endete unsere Fahrt, die sich an der einzigen verfügbaren Straßenkarte orientierte, in Saletele, einem Dorf, aus dem weiter nach Osten, auf die Landspitze hinaus, wohl ein „4WD only“-Weg führen sollte, aber so sehr „4WD“ war unser kleiner Wagen dann doch nicht.  Da war wohl mehr der Landrover mit hoher Bodenfreiheit gemeint, aber das sollte auch das einzige Hindernis dieser Art bleiben. Lustige Begebenheit am Rande: nach der Umkehr halten wir nach ein paar Metern unter Bäumen an, schnacken – so weit es halt geht – mit einer netten jungen Frau, und danach sagt das Auto nix mehr. Gar nichts.  Elektrisch tot.  Mir fährt gleich durchs Gehirn, dass  es bessere Gelegenheiten auf dieser Fahrt gegeben hätte, um sich ein freundliches Nachtquartier zu suchen, denn bis hierher Hilfe kommt… Saletele…
Aber der geübte Blick unter die Motorhaube zeigt schon bald, dass Allradantrieb nicht alles sein kann: auf dem versuchsweisen Gerumpel bergauf hatte sich die Batterie  auf die Wanderschaft gemacht. Die Kontakte baumelten nur noch ungefähr dort, wo sie eigentlich Strom führen sollten, und innerhalb Sekunden war der Schaden behoben. Batteriebefestigung?! War nich‘ … Blieb auch so, also: stille halten und weiter! Ganz suutsche über den Asphalt. Nochmals vorbei an den Schulkindern, mit denen wir zuvor erzählt hatten, was ein merkwürdiges Gefühl hinterließ, denn unser Reiseführer* schiebt für die Berge der Samoa-Inseln eigens einen Absatz ein, der „Getting Stoned“ heißt, und dies nicht, weil man sich mit irgendeiner schönen Droge betüdeln soll, sondern weil man mit Steinen beschmissen werde – ein Jugendsport.  Nix da. Im Gegenteil. Die Unterhaltung war so freundlich gewesen, dass wir eigentlich gern irgendetwas mit den Kindern geteilt hätten, aber Bonbons hatten wir umsichtigerweise an Bord gelassen und an unserem Wasser, nahmen wir an, sind Kinder nicht so interessiert. (Plan für das nächste Dorf: Banana-Brot kaufen. Ha. Denkste…  Bäckereien gibt es hier nicht auf dieser Insel der Selbstversorger).

Ganz wichtig! Mit diesem Fasergewirr macht man Kokosnusscreme!

Die Antwort auf "... was braucht man mehr?" Ganz wichtig! Mit diesem Fasergewirr macht man Kokosnusscreme!

In Lalomano finden wir ein Nachtquartier – Tafua Beach Fales**. Litia Seni, gleich nebenan und heiß empfohlen, hatte sich als belegt herausgestellt, die Beach Fales an diesem Strand sind sehr beliebte Ziele für winterflüchtige Kiwis und Aussies sowie Europäer auf „Samoa-Traumreise“.  Strand, Schwimmgelegenheit vor der Tür, was will man mehr. Dass die Straße quasi am Fußende der Matratze vorbeiführt, stört in der Tat überhaupt nicht, es gibt nämlich keinen Verkehr.  All das ist nicht unbedingt „billig“ zu nennen, wir zahlen 90 Tala pro Person (= 30 Euro) und Tag, aber das beinhaltet Frühstück und Abendessen, und schon merken wir, dass wir mit Tafua eigentlich ein Schnäppchen gemacht haben: an einem langen Tisch versammeln sich um 19 Uhr sämtliche Gäste, vielleicht 20, 30 an der Zahl, und verdrücken  wahre Wunder, die aus der kleinen Küche kommen, schmackhafte Curries, leckere Fischstückchen in noch leckererer Sauce, Samosas, Frühlingsrollen, Langusten…  Sehr gut!  Das Frühstück lässt – Eier, Früchte, Brot – ebensowenig zu wünschen übrig, es bedenkt sogar die britisch erzogenen Esser: Porridge!  Nur eine Aussiefrau mault ein bisschen: kein Vegemite.  Brrr.  Zwei Nächte verbringen wir dort, verdödeln den halben Tag mit Lesen, Meergucken (das haben wir ja sonst nicht …), quatschen mit den Einheimischen und den Gästen.

Tafua Beach Fales

Tafua Beach Fales

Wir machen Ausflüge in die Umgebung. Ein Surfresort liegt am Weg, wo wir uns eine gekühlte Kokosnuss gönnen und mal nebenbei nach dem Preis fragen. That’s stiff, könnte man sagen: 290 pro Tag und (hübschem) Doppelhäuschen. Aussie-Dollar, wohlgemerkt. Surfer-Bootsfahrten zu den Brechern gehen extra…  Umso mehr können wir die Rückkehr nach Tafua genießen und auch leichten Herzens über Sammelklo und Hundegebell hinwegsehen.  Was lag noch am Wege?! Viel Tsunami-Schaden aus dem September 2009 (inklusive eines neu errichteten Tsunami-Fluchtweges die Steilkante hoch, gleich hinter der Fale-Anlage).  100 Samoaner, vornehmlich hier in Lalomano, haben ihr Leben verloren – wir hatten die Spuren ja schon voriges Jahr in Niuatoputapu erleben müssen. Sodann: der Mittagsschlaf haltende Automechaniker. Schweine unter Brotfruchtbäumen. Der eine oder andere Wasserfall. Viele Süßwasserbecken, gespeist von den ausreichend beregneten Bergen, in denen gewaschen und gebadet wird, was wieder zum Plausch einlädt und zum gegenseitigen Gucken und Kichern, besonders bei den Jugendlichen. Während mit den anderen Kindern die Unterhaltung eher zu einer Schulübung gerät „What is your name? Do you have kids?  Where are you from?“ und so fort, präsentiert ein Mädchen einen bemerkenswert amerikanischen Akzent und auch einen umfangreichen Wortschatz; aber nein, sie war noch nicht weg aus Samoa „… wir sprechen zu Hause oft ein bisschen Englisch“. Mit den Exil-Samoanern aus den USA, ganz klar.  Die Verbindung in die USA ist ja so weit nicht abgelegen: 35 sm weiter östlich liegt die Insel Tutuila, die, als die westlichen Inseln an Deutschland fielen, das war 1899, den Amerikanern zugesprochen wurde und fortan „American Samoa“ heißt. Segelfreunde hatten schon berichtet: amerikanisiert bis an die (gerichteten) Zähne, überfüttert und damit ein Eldorado an „samoanischer“ Körperfülle, schmutziges Wasser, eine Tunfischkonservenfabrik mit Geruchsbegleitung. Ein „paradiesisches“ Fleckchen Erde… Beim Abendessen sitzt uns eine amerikanische Juristin gegenüber, die für 2 Jahre die US-Justiz  in Pago-Pago *** vertritt, und berichtet vom Verhältnis zwischen Samoanern und nicht-polynesischen US-Amerikanern. Die meisten ihrer Fälle beziehen sich auf Besitztumsangelegenheiten: Auf Tutuila, wie auch auf den anderen samoanischen Inseln, ist Land zum größten Teil noch im Besitz der Dorfgemeinschaften. Der Chief, genannt matai, reguliert sämtliche Dorfangelegenheiten, im Endeffekt reguliert er auch die Wohnrechte. Eine polynesische Tradition, die wir schon aus Französisch Polynesien kannten, wird hier wieder äußerst augenfällig: es ist die Sitte, die Familienmitglieder auf dem Grundstück, quasi vor der Haustür zu beerdigen (wunderschön und wundersam… vom Schlicht-Grab bis zur schicken, buntverglasten Sarg-Vitrine!). Liz hält das für einen Trick, die Wohnrechtansprüche zu zementieren. Man könnte sagen: was dem einen ein Handtuch auf dem Strandliegestuhl ist, ist dem Samoaner die Oma vor der Tür. Ein Platzhalter.

Der Eigner auf der Erbse. Beach Fale in Virgin Cove

Der Eigner auf der Erbse. Beach Fale in Virgin Cove

Ein paar Ecken weiter. Wir mieten uns nochmals für eine Nacht in einem Beach Fale ein, idyllisch gelegen, erreichbar über einen langen Sandweg am Meer entlang. Die Idylle – die Fales liegen weiter auseinander, unter Mangroven – bezahlen wir dann auch gleich mit einem doppelten Preis, denn hier ist das (mittelprächtige) Abendessen nicht inklusive und das Frühstück eher bescheiden. Virgin Cove Beach Resort nennt sich das Ganze. Lohnend für den Urlaubsuchenden, der sich ein paar Tage am Strand, in seinem Beach Fale oder bei kleinen Cocktails vergnügen will (ui, „Blue Sky“ hatte ordentlich Drehzahl, nix für AKKAnauten-Wassertrinker), aber für uns eher abgelegen, so leicht kommt man über die Hoppelstrecke nicht wieder raus, also ist man ein bisschen festgenagelt. Übrigens war dies der einzige Platz, an dem wir vom Matai um eine Durchfahrtgebühr gebeten wurden – 5 Tala für’s Auto.

Mit Siti schnacken über Tarozubereitung

Mit Siti schnacken über Tarozubereitung

Was wieder zur Tätigkeit der Matais überleitet. Siti („Felicity“), die Bäuerin an der Kreuzung nach Alesia, erklärt uns die Welt der Samoaner: der Matai sagt, was gemacht wird, die jungen Männer ohne Titel sorgen für die Durchführung. Und das scheint zu funktionieren, zumindest legt das die Optik nahe. Jedes Dorf achtet peinlich auf adrettes Äußeres. Besen sind in ganz Samoa ein wichtiges Instrument und werden fleißig genutzt. Die Gärten gepflegt und mit Zierpflanzen geschmückt, Müll fliegt so gut wie nicht herum (da staunt der Tongareisende…), selbst die Pfandflaschen werden ordentlich in Pyramiden am Straßenrand gestapelt, wenn der Flaschen-Tauschtag naht. Allerdings haben die Matais auch das Sagen über die Kirchen, die Sonntagssitten und viele andere Alltagsdinge – da wird’s dann unter Umständen ein bisschen „enger“ im Samoadorf. Die Kirchen, sagt Werner, der hier seit vielen Jahren lebt, sind sehr machvoll, so machtvoll wie in Tonga. Ein kleines Gegengewicht bilden neuerdings die charismatischen Freikirchen, die Zulauf bekommen: man muss nämlich nicht so viel Geld mitbringen und hat auch als nicht-Chief etwas zu sagen. Übrigens berichtet Werner, dass es eine Rückkehr-Bewegung nach Samoa gibt: Exil-Samoaner haben es in der westlichen Welt nicht immer einfach, Ressentiments bis Rassismus ist überall, das sehen wir ja auch in Kiwi-Land. Dagegen lebt es sich in einer samoanischen Dorfgemeinde dann doch ganz kommod: das Essen wächst einem, auch wenn es manchmal nicht gar so vielfältig ist, einfach zu – Banane und Kokosnuss ist immer da.  Kleidung?! Der Bedarf ist gering: ein Lavalava und ein Shirt oder Oberteil reicht. Wasser?! Kein Problem. Die Häuser sind schlicht und offen, aber luftig.  Leben in Samoa?! Macht Sinn.  Wenn da nur nicht die Verlockungen der modernen Welt wären, und wir sehen viele offene Fales mit dem Flachbildschirm in der Ecke. Für die Stromversorgung muss man dann doch den einen oder anderen Tala verdienen, selbst wenn der Schirm selbst vom „Onkel aus Amerika“ finanziert wurde. Vom allgegenwärtigen Mobiltelefon natürlich zu schweigen.

Pfandflaschen am Straßenrand
Pfandflaschen am Straßenrand

Wie man Geld verdient, zeigt uns Siti – die ist zwar kein „Onkel aus Amerika“, mehr eine „Tante aus Brisbane“. Nach 15 Jahren in OZ ist sie zurück, und nun ist sie Bäuerin, mit einem wunderschönen Marktstand. Geschäftstüchtig (und für die Mittagszeit unsamoanisch wach) ist sie und lustig und erklärt uns nicht nur die Welt, sondern auch Gemüsezubereitungen und ihre schönen Samao-Kakaokapseln.

Sonderangebot - Samoas zentraler Haushaltsgegenstand
Sonderangebot – Samoas zentraler Haushaltsgegenstand

Genug geplaudert.  Jetzt ist mal wieder Apia dran – und Ende der Woche geht es weiter nach Savaii. Das „richtige“ Samoa.
Bis dann!

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*Moon, South Pacific

**  „fale“ – so oder ähnlich in fast allen polynesischen Sprachen „das Haus“

*** polynesisch für Anfänger, nächstes Kapitel:
Pago-Pago. Gesprochen „pango pango“ . Wie eben Vuda nicht Vuda, sondern Vunda ist, Nadi ist Nandi, und wir alle sind ein bisschen, wie ich es immer schreibe „palangi“. Das ist der Weiße, phonetisch geschrieben, denn die Orthographie hätte gern „palagi“.  Nur wenn ein „b“ auftaucht, dann schiebt man davor ein „m“ ein. Got it?!

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