Port Refuge, Cocos Keeling, 29.9.2015
Bevor es zum Schrägen aus Cocos geht, noch schnell ein Blick auf unsere kurze Passage von Java – wir waren nämlich nicht allein… Wir haben unterwegs gerne Besucher an Bord, und der Tölpelbesuch war besonders erfreulich, weil es zuvor auf diesem Abschnitt wieder einmal eine Seebestattung hatte geben müssen: hatte „unser Gecko“ in der zweiten Nacht noch einmal ein irgendwie empörtes „Ci-cak-ak-ak-ak“ ** von sich gegeben, überraschte mich der Eigner am Folgemorgen mit einem gesperrten Schipperinnen-Sitzplatz: „… guck mal! Da, an der Wand!“ Ach, je, da klebt ein kleiner Gecko. Man versteckt sich unter dem Cockpitpolster und wenn die Schipperin sich niederlässt, nimmt der Druck schlagartig zu. Gefährliches Pflaster, so ein Boot, für kleine Geckos, die Liste der tödlichen Haushaltsunfälle wird länger. Einen Gecko hatten wir noch in Malaysia „gestempelt“ – der hatte unsere Wasser-Isolierhülle als einen geeigneten, schattigen, vielleicht auch angenehm feuchten Ruheplatz ausgesucht. Bis ihm 1,8 l Wasser auf’s Haupt fielen (ich habe es erst gemerkt, als die Wasserflasche „irgendwie merkwürdig“ zu riechen begann). Nicht genug damit: als wir das Dinghy in Cocos auspackten, lag ein weiteres Opfer darin. Von wegen „der Gecko“. Die Geckos – aber sie sind trotz des harten Lebens ein zähes Völkchen, und eben „der Gecko“ ruft immer noch. Fragt sich, wie das nach 16/17 Tagen Passage in Rodrigues aussehen wird, aber da muss er jetzt durch.
Egal, vom Tölpelbesuch fühlten wir uns geehrt und berührt. Es ist immer nett, den Damen und Herren einen kleinen Gefallen zu tun, auch wenn es da oben auf dem Besanmast eigentlich fürchterlich unbequem, da schaukelig sein muss.
Allerdings… Manche Besucher sind dann doch nicht so reinlich wie man sie sich gern wünscht!
Ansonsten genießen wir weiterhin Cocos Keeling. Wirklich, ein Genuss! Ob man frühmorgens mal entlang der alten Telegrafiekabel schnorchelt, im springtidenbedingten Strom die Algen von der Wasserlinie kratzt und die Anoden begutachtet… es ist eine herrliche und wilde Mischung, die uns umgibt. Das Blau, der Passatwind, der nach den stickigen Äquatormonaten für die willkommene Dauerkühlung sorgt. Das klare Wasser, die kleinen, frechen Schwarzspitzenhaie, die einen neugierig umschwimmen.
Nachdem am Montag um 10:00 h Lokalzeit ein richtiger Regattastart für 14 Yachten der World ARC zelebriert worden war, hatte sich das Ankerfeld auf 4 Boote geleert, AKKA plus Belgien plus Frankreich plus die Sarah2 aus England (die – kleine Welt! – die Eigner der Sal Darago an Bord hatte, Panamakanalkumpels der AKKA aus 2010).
Wegen der zu entrichtenden Hafengebühr schmissen wir uns in die Regenkutten, legten die Schwimmwesten an und sausten ausnahmsweise mit unserem dicken Außenborder nach Home Island – 3-PS-ig wäre es noch nasser geworden, aber es war unter’m Strich nicht so dramatisch wie kolportiert. Angesichts von Home Island nimmt die Verwirrung weiter zu: wo sind wir hier eigentlich? Rein religiös-kulturell gesehen eindeutig im Malayischen. Die Straßen heißen alle „Jalan“, es gibt nicht nur eine Moschee und die Damen, die auf den elektrogetriebenen Quads sitzen (ein paar Verbrennungsknäterer gibt es auch!) tragen züchtige Kleidung und Kopftuch. Die Cocos-Malayen sind eine eigene Ethnie, die hier seit den 1830er Jahren ansässig ist, man spricht Bahasa mit einem strengen Akzent – aber man wohnt in einer äußerst aufgeräumt wirkenden Siedlung, mit säuberlich aufgereihten Einheitshäuschen – zumindest zur Front der meist 2-spurigen, gepflasterten Straßen sehr ordentlich, die Grundstücke sind tief und die Hinterhäuser sind zumindest von der Verwendung her noch eher als „malay“ zu bezeichnen: Werkstatt, Wohnzimmer, Familienküche. Unser Eindruck: könnte auch eine der künstlichen Siedlungen im Red Centre sein.
Könnte aber auch eine Szenerie aus einem etwas unheimlichen Science Fiction Film sein, gleichförmig, unbelebt. Ein paar klischeetypische Australier trappeln durch die Szene („… ha ya goin, mate?“), Straßenarbeiter zum Beispiel, zwei Krankenschwestern. Und im Gemeindebauhof hängen Sicherheitshelme ordentlich gereiht über Stahlkappenschuhen und Neonwesten. „Slow“, „Go“ und „Stop“-Schilder und was man für eine geordnete Verkehrsregelung so braucht; eigentlich braucht man hier nichts dergleichen, aber „Caution, Wet Floor!“ ist einfach unabdingbar! Was man hier allerdings wirklkich braucht, ist ein ordentlicher Cyclonshelter, und der sitzt denn auch beeindruckend mitten im Ort. auf dicken Stahlstelzen und bis an die Dachkante gepanzert. Ungute Vorstellung, dort hinein zu müssen, zumal man im Fall des Falles gewzungen wird, das eigene Schiff sich selbst und seiner Verankerung zu überlassen…
Ein bisschen schräg ist auch die Historie der Keeling Islands, und dass hier eine malayische Ethnie so isoliert überdauert hat, liegt an den Herrschern über das kleine Atoll. Schiere Kolonialgeschichte, aber in der Version „Clunie-Ross“ – auch bekannt als die „Kings of Cocos“. Diese Kings haben dafür gesorgt, dass ihre malayischen Arbeiter schön unter sich blieben, sie wurden zwar entlohnt, durften aber das vom King geprägte Inselgeld nur im Inselladen ausgeben, wie nett, das ist so was wie das Perpetuum mobile im Cash-Flow. Kontakte nach außen waren untersagt, Kontakte von außen nach innen (zum Beispiel von der Besatzung der späteren Funkstation!) streng konrtolliert. Als Mitte der 1970er Jahre die UN hier erstmalig anrückte, um nach dem Rechten zu schauen, fühlte man sich ins vorherige Jahrhundert versetzt. Gesamturteil: Sklavereiähnliche Zustände. Die australische Regierung hat den wegen des nachlassenden Koprageschäftes schwächelnden Familienbetrieb der Familie Clunie-Ross übernommen, die Ländereien bröckchenweise aufgekauft und dem Königreich mit einem Boykott seies Transportgeschäftes den wirtschaftlichen Rest gegeben – 1984 optierten die Einwohner der Cocos Keeling-Inseln dann für den Anschluss an Australien (die Alternative war eine Eigenständigkeit mit definierten Allianzoptionen). Vielleicht nicht die schlechteste Art, endlich an „Caution! Wet Floor!“-Schilder zu kommen! Und was muss man dann im Netz lesen? Die Klage, dass der „alte Herr“ ein toller Typ war, denn, heul! „… die Australier erlauben uns den Fang von Schildkröten und Seevögeln nicht mehr“. Scheint sich aber um eine Minderheit zu handeln – das Dorf sieht aus, als ob die Versorgung mit Recyclingtonnen nicht die schlechteste ist. „Das Dorf“ ist übrigens heute ein Vorort von Perth/Western Australia. 1750 Seemeilen von hier entfernt, der nächste Punkt des Festlandes ist das Northwest-Cape, 1200 Meilen. Australisch halt.
Ein bisschen schräg übrigens auch der Grund, warum das Atoll zu Großbritannien gehörte, bis Kaiserin Vicky es der Familie für immer übertrug… Es war nämlich einmal ein Kapitän, der hatte den Auftrag, die Cocosinseln im Golf von Burma für das Empire einzunehmen… Man wird sich ja doch mal ein bisschen vertun dürfen, oder?! A propos Empire: die kaiserlich-deutsche Flagge wehte am 9. 11. 1914 nur für 6 glorreiche Stunden.
All das und mehr lernt man im kleinen Museum, für das man den Schlüssel beim Shire-Office erhält. Schöner Ausflug. Gekrönt vom Besuch im Supermarkt des Dorfes, wahrlich gekrönt, weil am vergangenen Freitag der Versorger da war: Möhren, Äpfel, Kohl… einfach volle Regale. Wer sagt denn, dass es sich um ein Angebot „wie in einem schwachen Seven-Eleven“ handelt. Gut für uns. Ich muss dann mal die frischen Vorräte umlagern. Wegen der Schräglage…
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** Cicak ist Bahasa Indonesia/Malay für „Gecko“. Sehr schön lautmalerisch!



