Rund um den 4th of July

Passt immer! Memorial Day? Independence Day? Oder Weihnachten…

Norfolk, 12.7.2019

Das Befahren des Intracoastal Waterway ist so ein Ding, zumindest für uns als Segler. Ja, doch, die AKKAnauten, die sich schon mal als Nicht-Segler bezeichnen (weil die Reisemotivation auf Reiseerlebnis und weniger auf Segelmeile liegt), vermissen die Segel. Für viele Amerikaner und Kanadier ist der ICW dagegen wunderschön – sie lassen auf ihren Motoryachten ohnehin den Motor brummeln. Ich freue mich, wenn das Teil mal schweigt, und dazu gab es in den vergangenen 10 Tagen überhaupt keine Gelegenheit. Natürlich ist es toll, nicht panisch auf das Wetter draußen vor Cape Hatteras zu schauen, weil AKKA sich gemütlich durch’s Inland schiebt, aber auch da gibt es Feinheiten, die es zu beachten gilt: Gewitter. Wenn die USA eines können, dann ist es „Wetter“, aber wir haben eine schöne Phase erwischt. Und die Löcher zwischen den unschönen.
Wegen der Motorrapppelei und weil wir denken, dass noch genügend Gelegenheit kommt, Kolonial-/Revolutions-,/Sezessionskriegsgeschichte anzuschauen, halten wir die Strecke eher kurz – kein „Washington“ (ein verschlafenes Dorf am Ende eines Seitenarmes), kein „Bath“ (ältester Ort von North Carolina).   ICW geht hier oben so: ein Stück Flusslauf, ein Stück offenes Wasser, ein Stück Kanal. Allen gleich ist die Wasserfarbe, es ist britzebraun vom eingetragenen Tannin, und AKKA ist bald mit einem Kakaobart am Bug geschmückt. Manchmal treibt ein Baum vorbei.  Manchmal weitet sich die Landschaft so, dass es schwer wird, das Ufer zu sehen, aber zum Segeln reicht das nicht: zu flach ist es seitlich des Wasserweges. Der Verkehr ist erstaunlich gering, dabei bewegen wir uns um den 4. Juli herum, Amerika hat „langes Wochenende“.

Uncle Sam, Sternenkissen, Fähnchen. Kurz: 4th of July

Am 3. sind wir nachmittags in Belhaven und versuchen, ein Gefühl für den flachen Ankergrund vor dem Städtchen zu entwickeln, unter 2,5 Meter finden wir schon ziemlich „ui“. Natürlich kommt ein Gewitter mit ordentlichen Sturmböen auf, so dass wir überdenken, überhaupt an Land zu gehen, aber dieser Spuk ist, wie meistens, rasch vorbei. Spaziergang! Ein amerikanisches Landstädtchen im Nationalfeiertagsrausch! Die Veranden, a.k.a. „porches“, sind mit Kissen im Stars & Stripes-Stil geschmückt, die Fenster der Versicherungsbüros, der Altentagesstätte und der Bank schreien „God Bless America“. Wir streben einer kleinen Menschenansammlung zu – Jahrmarktatmosphäre! Wir sehen unser erstes Rodeo – ein automatischer Bulle dreht sich in einer Aufblasarena und wirft seine jugendlichen Reiter in die Gummi-Bande. Ein paar mobile Kinderkarusselle – und, was kann man anderes erwarten, ganz viel Fressstände: Pizza, Zuckerwatte, frische Limonade, Burger, Gegrilltes. Und wenig los, das muss man sagen.  Wir wenden uns dem anderen Ortsrand zu: da ist es schon eher „4th of July“, denn das ist nicht, wie Donnie möchte, ein Militär-, sondern traditionell ein Familienereignis: am Wasser hat sich ein ganzes Wohnviertel unter Bäumen versammelt und grillt und bespaßt die Kinder. So muss es sein – wobei wir Donald T. mit seiner Militärshow in Washington für den running gag der letzten Tage natürlich dankbar sind: dass die Amerikaner im Unabhängigkeitskrieg, das war anno 1775, auch die Flugplätze der Briten erobert hätten –   das wird in allen Medien aufs Köstlichste ausgeschlachtet. Die Schlacht am Gepäckband!  Bilder von Rolltreppen mit musketentragenden Rotrücken. Schlachtgemälde rufen „Vorwärts nach JFK-Airport! Ehe uns der Windgeneratorenkrebs alle umbringt“ – einfach wunderbar! Dankeschön, # 45! Ja klar, er war’s nicht, er war’s nicht – da hat jemand einen Teleprompterfehler eingebaut. Sagt er.

Zum Abendessen kehren wir so richtig amerikanisch ein, in der „Tavern“. Lange Bar, darüber viele Sportfernseher, Boxen, Basketball, Motorsport, und natürlich Baseball – da ist für jeden etwas dabei. Abgetrennt davon der klassische, eher dunkle Speiseraum, irgendwie ham sie’s hier mit dem Licht in den Kneipen, entweder neon-ungemütlich oder taschenlampenpflichtig. Voll ist es – ein langer Tisch ist vom Betriebsausflug der Bereitschaftspolizei besetzt; die brauchen auch besonders viel Platz mit ihren dicken Schusswesten. Wr versuchen uns am Amerikanischen: Hackfleischsteak und ein Signature Burger. War so „naja“, irgendwie müssen wir noch lernen, die Speisenkarte richtig zu interpretieren. Viel Fleisch, wenig Gemüse – aber nett inmitten all der Nationalfeiertags-Familien zu sitzen.
Zurück am Dock, wo das Dinghy wartet, treffen wir auf nette Leute aus Arizona. „Ah, Ihr seid die mit der deutschen Yacht!“ (Schwierig zu erraten: wir sind die einzige Yacht vor Anker und sehen auch irgendwie deutsch aus…). Viele Gespräche hier fangen mit „… and you came all the way from Europe, across the Atlantic?“ an, und wir immer noch „.. so ungefähr…“. In diesem Fall können wir Langfahrtweisheiten von uns geben, denn die beiden möchten ihre kleine, pummelige, aber seegängig ausschauende Motoryacht demnächst nach Neufundland und Grönland lenken. Toll!

Die Alligator River Bridge

Ein Tag weiter: von Belhaven zur Alligator River Bridge. Krokodile haben wir nicht gesehen, dafür sind wir aber einmal ein winziges Bisschen vom Wege abgekommen und „schlürf“ in den Dreck gefahren, mitten im Kanal; das schärft die Aufmerksamkeit. Wir lernen, dass man auch als überholtes Schiff seine Fahrt reduziert, eine fette Motoryacht überholt und zeigt uns, wie’s geht: Funkkontakt, Überholvorgang ankündigen, man sieht die Yacht hinter uns aus der Gleitfahrt in langsame Verdrängerfahrt absinkt. Winken/grüßen (wichtig!). Überholvorgang beendet –  und Hebel auf den Tisch. schon hebt die Yacht sich wieder aus dem Wasser;  ein paar Minuten später ist sie ein winziges Pünktchen an Horizont des schnurgeraden Kanals. Wir brauchen ein bisschen länger, dafür machen wir aber auch nicht so eine Welle – unsere eigene Verlangsamung ist nur zugunsten des Überholers, dadurch wird der Vorgang auf ein Minimum verkürzt.  Am Ende des Tages erwartet uns die Alligator River Bridge – die große Mehrzahl der Brücken auf dem ICW ist fest, die Standardhöhe sind 65 Fuß (wir haben 58, das fühlt sich von unten anfangs etwas kribbelig an, aber frau gewöhnt sich dran). Alligator River Bridge dagegen ruft man an, und fragt freundlich, ob sie am 4. Juli im Dienst sind – natüürlich! 24/7.  Eine halbe Meile vorher Funkkontakt – „… ich stoppe den Verkehr dann“. Ampel, Autos halten, Feiertagsfamilien springen raus und gucken „Schiffspassage“. Die Brücke schwingt auf, wir winken und sagen artig „Thank you, Alligator River Bridge and have a nice day!“ . Der Brückenwärter wünscht uns im Gegenzug einen schönen Segelsommer und hofft, uns im Herbst wiederzusehen. So ist das hier – immer freundlich, immer verbindlich. Oder meist? Oder nur am Lande? Und was muss ich erwidern?
Wir fahren gleich hinter der Brücke zum Ufer, genießen Zypressenduft von Land (und Massen von Zuckmücken, die gerade Schlupftag haben, aber das wissen wir an dem Abend noch nicht). Der Anker fällt. Pause. Zeit über Floskeln nachzudenken

Tja, was sagt man auf die Floskeln? Ich kann mich noch immer nicht richtig benehmen hier, so viel ist klar. Konnte ich es jemals und irgendwo? Gute Frage – aber hier grenzt es schon an „anstrengend“: wenn ich bei West Marine, dem großen Schiffsausrüster oder jedewedem anderen Laden, durch die Gänge laufe und mehrfach angesprochen werde, ob man mir helfen könne, ob ich alles finde – das reißt mich geradezu aus der Konzentration. Das stete „ich weiß es zu schätzen/I appreciate it“ . Die höflichen Rückversicherungen, dass alles wunderbar sei, wenn man sich für etwas kaum Erwähnenswertes entschuldigt „oh, I am SO sorry!“ – wie oft sage ich das mittlerweile? Ich muss manchmal lachen – Norfolks Straßen sind zum Feierabend verlassen, ein breiter Gehweg, wir bewegen uns im Schatten der Bäume am Straßenrand. eine junge Frau sitzt in 5m Entfernung auf einem Mäuerchen und telefoniert, unterbricht ihre Rede und flötet: „Hi –  how are you doing?“ Frollein Deutschmann würde hier gern sagen: „… hä?“ Gewöhnungsbedürftig, zumal mir eigentlich außer einer mehr oder weniger wortreichen Danksagung nichts einfällt. Es erinnert mich deutlich an sozial organisierte Insektenstaaten; Ameisen oder Termiten, die sich immer durch Kontaktaufnahme ausweisen müssen, ob sie dazugehören, ein kleines Antennentasten hier, ein kleines Pheromonschnuppern dort – wer am Ritual nicht teilnimmt, macht sich verdächtig. Wenn frau im Supermarkt jemand anderem den Weg blockiert und sich entschuldigt, kriegt sie unweigerlich ein „… oh, no – you are doing perfectly fine!“ oder Ähnliches zu hören; „macht nix“ oder das neudeutsche „allet jut!“ reichen hier jedenfalls nicht. Frage: ob diese Automatismen die Leute nicht auch ganz wuschig machen?  Denn im Gegenzug herrscht ja vielfach „runter von meinem Rasen“.  Gruß aus der Pantry – kleiner küchenpsychologischer Zwischengang.

Der nächste Tag bricht an, ich erwähnte es schon: Zuckmückenalarm. Überall. Zuckmücken stechen nicht, das ist schon mal gut, aber wenn das ganze Schiff voll ist, überall die kleinen grünen Zuckmückenschisse verteilt sind und grünlich schmieren, das ist gemein! Andreas greift zur ultimativen Waffe im Achterschiffbereich: der Druckwasserschlauch. Eine riesige Wolke steigt auf, ha! Gut gemacht! Oder? Nö… die Chironomidengemeinde hat einfach das Versteck gewechselt und sitzt jetzt unter der Sprayhood. Toller Trick! Die gute Nachricht ist, dass Zuckmücken eher Ein- bis Zweitagsfliegen sind, die Belästigung hält sich zumindest zeitlich in Grenzen.
Wir zickzacken weiter den ICW nordwärts, es wird wieder enger, umso mehr freuen wir uns, dass die Barge, die von achtern aufkommt, auch langsamer kurven muss. Tagesziel: Coinjock, da wo alle anhalten, hier gibt es nämlich ein sagenumwobenes Prime Rib. Wer, wie wir, Prime Rib mit Rib Eye verwechselt, wundert sich natürlich über das riesige Stück Braten, das einem serviert wird – ich fand am besten das Zucchini-Kürbisgemüse. Einen Tag Pause wollen wir uns gönnen, dieser Galopp durch die Landschaft macht einen mürbe. Im Endeffekt werden es 3 (teure) Nächte, denn die vorhergesagten Gewitter im Norden lassen wir lieber aus, dafür duschen wir, waschen Wäsche, machen Ölwechsel und probieren das Restaurant ein zweites Mal.  Der US-Fleischfresser mag begeistert sein, aber Andreas‘ Steak ist „in Ordnung“ und mein Fischteller… ziemlich paniert. Das Prime Rib ist bestimmt gut, das stimmt, aber der Rest – ach, naja. Aber ungeheuer beliebt ist der Laden, denn außer den paar Motoryachten (plus 2 Hallberg Rassys, das ist ein echter Zufall!) kommen reichlich Gäste, die im Bereich der nahen Outer Islands ihre Ferien verbringen.
Frühmorgens am 3. Tag zieht der Eigner AKKA aus der engen Lücke – man sagt, an diesem Anleger bieten Yachtbesitzer dem Hintermann an, dessen Anker zu reinigen, damit der Schmutz nicht aufs eigene Deck fällt. Wir liegen zwischen „Scout“, der anderen HR, und einem Motorkahn mit dem schönen Namen „Dun Wurkin“, zu deutsch ungefähr „Fättich mitte Aabeit“. Das Manöver geht dem Eigner gut von der Hand, wir verbringen einen letzten, schönen Motortag auf dem ICW, sogar der sturzbachartige Regen, der uns knapp vor Ankunft am Great Bridge Battlefield erwischt, stellt für unser Anlegemanöver den Dienst ein. Wir werden trotzdem nass, denn bis die Scout, die uns gefolgt ist, eintrifft, geht das Gepladder wieder los, und es wäre wirklich unhöflich, nicht zu helfen… WIr liegen zwar vor dem Battlefieldmuseum, aber wir entnehmen dem Internet, dass es ein zukünftiges Museum ist und „Mitte 19“ eröffnet wird. Dieser Tage also, aber leider noch nicht. Trotzdem kann man auf einem Spaziergang in der Nähe ein bisschen Schlachtgetümmel nachempfinden – hier hat das Ende der Briten in Virginia seinen Anfang genommen, und das ist auf Schildern am Wegesrand bildhaft dokumentiert. Gruselig, diese alten Schlachten mit Marschmusik und Trommeln und Gebrüll.
Drei zu öffnende Brücken und eine Schleuse später war’s das mit dem ICW. Vor uns liegt die Chesapeake Bay. Der Anker fällt am Hospital Point, in DInghydistanz von der Altstadt von Norfolk und ebenso von Portsmouth. Wir tauchen ein in die Welt der US-Navy. Mal andere Monster sehen! Dazu später mehr.