Ozean? Am Rande!

Indian Summer!

Montreal, 28.9.2019

Ein Update von den AKKAnauten, wer hätte es gedacht?!
Wir sind in Montreal, AKKA steht derweil brav auf Holzklötzen und, wie wir hoffen, nicht allzu tief im Matsch. Wenn es regnet in der Chesapeake Bay, dann tüchtig, zum Beispiel, wenn Hurrikan Dorian draußen  vorbeizieht. Für uns ein wahrlich regnerischer Tag, der auch sein Schönes hatte: es rauscht mal wieder Wind in den Kiefernwipfeln, ein ganz ungewohntes Geräusch mittlerweile. Spannendes gab es für uns vom anderenorts schrecklichen Dorian nicht – außer einem beachtenswerten Hochwasserstand: wo wir kurz zuvor noch am Steg vor der Slipanlagegelegen hatten, guckten gerade noch die Enden der Dalben aus dem Wasser.

Wir haben lange herumgebastelt, Wintervorbereitungen getroffen zum Beispiel. Man weiß nicht, wie sich das in der Chesapeake Bay macht – so richtig tief fallen die Temperaturen nicht, die Angaben sagen allerdings „höchstens mal ein paar Tage unter Null“; das reicht aber, um alle Wasser führenden Leitungen entleeren zu müssen oder mit Frostschutz zu versehen. („Unter Null“ klingt auf amerikanisch übrigens furchtbar: „minus 50 / minus 60“. ° Fahrenheit).
Erstmalig hatten wir auch mehr Mühe mit unsererm Coppercoat-Antifouling, denn die Chesapeake Bay ist ziemlich berühmt für massiven Bewuchs, und so haben 14 Tage vor Anker gereicht, um AKKAs Rumpf mit vielen, kleinen Crustaceen-Pünktchen zu besiedeln. Eigentlich kein schreckliches Problem, wenn man denn nicht nach dem Druckstrahlen den Rumpf trocknen lässt und – der Hitze wegen! – erst Tage später daran geht, die Fußabdrücke der Seepocken abzukratzen, dünn, aber oho, gut durchgehärtet… Die gängige Meinung der ortsansässigen Hardware- und Schiffszubehörshops für die Entfernung sieht meist Salzsäure vor –  nicht unser Ding. Also haben wir in 1-Gallon-Plastikflaschen (davon sind 3 zur Zeit an Bord unseres Autos, zweimal Wasser, einmal „Abwasser“, Ihr wisst, „reuse, repurpose, recycle…“) investiert und reichlich Küchenessig gekauft, Küchenpapier darin getränkt und einwirken lassen. Mit ein bisschen Fluchen, denn manchmal fällt einem so ein essignasses Tuch bei Überkopfarbeiten dann aufs Haupt… 3 Arbeitstage hat’s gedauert, ungefähr. Die benachbarte „Treib(t) gut“ mit ihrem dicken Bart auf Standardantifouling entschliesst sich daraufhin dann doch für die Salzsäurekur…

Aber Ende der Bummelei gut, alles gut, noch schnell Dorian durchwinken, und ein paar Tage „…aber morgen fahren wir dann!“. Na gut – dann eben am Mittwoch. Der Donnerstag bricht an… Treib(t) Guts luden uns schon zum Michels Geburtstag ein „…falls Ihr dann immer noch…“. Aber nein, das ist der Anreiz, das NAJA_Auto mit Campingkisten und Gepäck vollzuwerfen und aufzubrechen. Am späten Nachmittag. Plan A: an der Kreuzung in der Ortsmitte gibt es ein Seven Eleven, da kann der erschöpfte Tourist sein Nachtlager einrichten. Kilometer 1 wäre damit abgehakt. Aber nein, wir schaffen es noch bis Maryland… All die Wunschziele (Washington, New York) lassen wir nun rechts und links liegen, in der Ferne erzeugt die Skyline von Manhattan ein bisschen Gänsehaut, Verkehrswunder zwingen uns (bzw. der etwas ungeschickten Beifahrerin) allerdings doch eine Rundfahrt am Hudsonriver, durch Washington Heights und die nördliche Bronx auf. Man muss ja dafür sorgen, sich wie zu Hause zu fühlen, also mitten rein in den freitäglichen Berufsverkehr, wenn man die Brückenabfahrt an der Washington Bridge versemmelt (übrigens etwas, was mir noch mehrmals passieren soll, die Autobahnführung ist verwirrend, und dann gibt es hier auch kein Rechtsfahrgebot, ts-ts-ts; die Navigatorin muss manchmal tief atmen). Next stop: New Hampshire, ein Lehrstück in „billiges Motel=schlechte Betten“, das macht „Rücken“, und so legen wir eine zweitägige Pause in Boston ein. Tolle Stadt – und wir beginnen, die USA ein bisschen zu mögen. Kolonialgeschichte, Revolutionsgeschichte. Rentnerbank-Drücken am Hafen. Ein Food-Festival. Ein ziemlich doofer Tritt in eine Touristenfalle namens „Boston Tea Party Museum“ – jaa, es war ganz lustig, ein Historien-Disney zum Mitmachen, wir waren die Brüder Pitts und durften Teekisten ins Wasser schmeißen (was nicht ganz der Wahrheit entspricht, denn der Tee wurde aus den Kisten ins Wasser geschaufelt…). Etwas entnervt von der Show spazieren wir durch die Stadt, und so passiert uns eine sehr gute Führung durch das Haus von Paul Revere. Das ist der Mann, der mit einem nächtlichen Ritt 1774 das Umland vor einem Angriff der Briten gewarnt hat und im Endeffekt mit der Schlacht bei Lexington die Ablösung der USA vom Königreich eingeleitet hat – es zeigt sich immer wieder, dass Führungen eine Bereicherung sind. Da vergeben wir gleich 10 „Likes“. Der nächste Tag ist kalt und trübe, wir eilen durch Maine, im letzten Woolworth vor der Grenze nach Kanada besorgen wir nicht nur Essen, sondern auch ein rot-schwarz kariertes Holzfällerhemd für den Herrn (if you are in Canada, do like the Romans Canadians  do) und ein Sixpack Socken (bei Woolworth gibt es keine Einzelpaare, und ein Sixpack ist das Minimum… wir erwerben auch keine Fleeceanzüge für Halloween, Fleece ist verständlich in dieser Gegend, aber bitte nicht als Spiderman. Oder Kuh mit Euter). Wir haben uns ein Motel mit indischer Bewirtschaftung ausgesucht und siehe da – Montags Küchen-Ruhetag. Frech, dabei hatten wir uns auf Naan und Korma gefreut! Die freundliche Landlady, sehr jung, und möglicherweise frisch nach Kanada verheiratet, klagt: „… ich hasse die Kälte!“, das Thema wird uns jetzt noch weiter beschäftigen.

Wir sind so im Schwung, dass wir nun doch meinen alten Traum wahrmachen und zwar nicht nach Labrador reisen, aber immerhin doch zum „Lac Bras d’Or“ auf der Insel Cape Breton in der Provinz Nova Scotia, von wo man die Fähre nach Neufundland nehmen könnte. Könnte, aber nicht wollte. Das Wetter entscheidet sich für  „herbstlich hold“, der Indian Summer beginnt bereits, aus dem Dunkelgrün der Nadel- und dem helleren der Laubbäume ragen vorwitzige knallrote Zweige hervor. Sehr hübsch! Das Gefühl ist schon arktisch-frisch und recht skandinavisch – ich bin sicher, meiner Familie würde es hier gefallen! Der „Lac“ ist ein Salz- und Brackwassersee, zwar rundum von Land eingeschlossen, aber über Meerengen und Fjorde mit dem Atlantik verbunden. Ein Augenschmaus!
Die Funkerin der AKKA muss natürlich nach Sydney, Kohle- und Stahlproduktionsort im Norden der Insel und die Stelle, an der Marconi seine erste drahtlose Funkverbindung nach Europa hergestellt hat. Eine National Historic Site of Canada. Super?! Nix da! Außer einem Schild „wird im Juli 2019“ (!) wieder geöffnet und ein paar Fundamenten für die ehemaligen, riesigen Antennentürme nüscht gewesen – aber man kann sehr weit nach Irland hinüberblicken; nun ja, nicht ganz. Dafür hat Cape Breton noch eine Touristenbelustigungsentschädigung bereit: Louisbourg, das der Eigner gern besuchen möchte – hätten wir nur gewusst, dass Herr Marconi verschwunden ist, wäre mehr Zeit gewesen. Louisbourg ist ein Fort aus der Franzosenzeit, das nicht nur als Garnison am Eingang zum St. Lorenzstrom diente, sondern auch einen wirklich reichen Handelsstützpunkt schützte. Zu den mehreren Tausend Soldaten und Kaufleuten kamen sommers noch einmal mehrere Tausend Fischer aus Frankreich, Spanien und Portugal hinzu, die vor der Stadt lagerten. Noch heute eine erfrischend anzusehende Mischung aus Militär- und Zivilsiedlung: wir sehen, wie die Schafherde abends ins Gatter getrieben wird (gar nicht wahr, die wussten, wo die Leckerlis liegen und köttelten ihren Weg freiwillig durchs Museumsgelände…). Eine rundliche Bauersfrau, wie alle hier im Originalkostüm, trägt ihren Korb mit Lauch und Zwiebeln heim, klaut den Hühnern noch ein paar Eier (Protestgeschrei!) und spricht den beiden Ziegen gut zu: Divina ist, wie sie sagt, eher teuflisch veranlagt, ihre Lieblingsziege ist Antoinette, die sich auch von uns zwischen den Hörnern kraulen lässt. Eine „Hausmagd“ sortiert Möhrenkraut zum Färben „für den nächsten Sommer“, beim Bäcker kaufen wir Soldatenbrot, so gutes, dass wir beim Rückweg ganz enttäuscht sind, dass wir keinen Nachschlag mehr besorgen können. Es ist merkwürdig: die Leute sind so gut geschult, dass man ihnen das Leben in diesem Fort ohne Weiteres abnimmt. Die Magd erklärt uns, warum die französischen Flügel-Fenster hier keine gute Idee waren, sie sind noch heute undicht (im Gegensatz zu den amerikanischen vertikalen Schiebefenstern. Und auch zur norddeutschen Technik der nach außen öffnenden Fensterflügel, möchte ich anmerken).. Ein Soldat, der auf der Bastion Wache schiebt, kann uns zum Schluss Militärisches erzählen, auch zum Nachteil, den die Franzosen hatten: die Briten waren einfach besser organisiert, sie waren besser ausgebildet, konnten besser zielen und bildeten eine disziplinarische Einheit. während den Franzosen in Kriegszeiten plötzlich hochrangige, aber der Situation unkundige Offiziere aus Übersee vorgesetzt wurden. Schlecht, und so kam es das Louisbourg zweimal den Besitzer wechselte. Schöner Tag, trotz Marconi-Pleite.

Kommt der Freitag der weltweiten Klimastreiks. Haben wir mit unserer Reise mit dem NAJA-Auto unseren CO2-Fußabdruck ohnehin deutlich vergrößert, schaffen wir es leider nicht, das Ende der Demonstration in Halifax zu erreichen – nach 2/3 des Weges erreicht uns der Anruf unseres Campingplatzes, dass da einer von uns seinen Rucksack hat stehen lassen. Mit Rechner und Pass und all dem. Macht fast eine ganze Tankfüllung, ausgerechnet heute. Ein Treppenwitz…
Aber auch Halifax ist eine nette Stadt. Die Unterkunft bei einem chinesischen Ehepaar ist ein „self check’in“, da die beiden im Ferienhaus sind – also teilen wir das Stadthaus mit einer weiteren Mieterin, sehr erfreulich. Viel Gelaufe, ein tolles Auswanderermuseum, quasi das Gegenstück zu Bremerhaven, und viel Einblick in ein wirkliches Einwandererland. Wer 5 Jahre bleibt und arbeitet, hat ein Anrecht auf Einbürgerung, und die allermeisten richten sich tatsächlich mit dem langen Winter ein und bleiben. Nach langen Jahren der rassistisch orientierten Einwanderungspolitik ist heute auch in dieser Hinsicht vieles leichter geworden. Wir finden: die Toleranz untereinander ist groß (wenn das ein durchreisender Mensch beurteilen kann).
Noch einmal Geschichte an der Zitadelle, und noch mehr im Maritime Museum. Natürlich Schiffstechnik, aber auch das schauderhafte Explosionsunglück vom Dezember 1917, als ein brennendes Munitionsschiff die halbe Stadt in Schutt und Asche legte – die größte menschengemachte Explosion bis zu den Atombomben… Die Titanic-Abteilung – von bzw. nach Halifax liefen Rettungsmaßnahmen mit der Carinthia und die Bergung von Opfern. Interessante Statistiken über die Opferzahlen: „Frauen und Kinder zuerst“ hat gewirkt. Die meisten Opfer waren Männer, die meisten davon wiederum in der 2. Klasse. Für die 3. Klasse und die Besatzung ging es ganz schlecht aus.

Auf dem Weg nach Quebec regnet es unablässig, trübe, trübe, aber in der Stadt selbst erwischen wir einen kalten Tag ohne Niederschlag, dafür mit einer wirklich tollen Stadtführung, zu Fuß. Marie (nenne ich sie), die Frau, die uns durch die Stadt und durchs kanadische Leben leitet, macht das wunderbar, eine Historikerin mit einerm Hang zur Beschreibung des täglichen Lebens – Politik, Mieten, Löhne, Gesundheitssystem, dazu Churchill und Roosevelt im Chateau Frontenac; das ist ein Hotel der kanadischen Eisenbahngesellschaft, das so neo-romantisch/gotisch/was auch immer ist, wie es aussieht, nämlich ab 1890 bis 1920 errichtet, Projektmotto: „let’s make Quebec look older than it is!“. Poutine, der schreckliche Käse-Kartoffelschlabber (den wir noch nicht probiert haben, es sieht einfach nicht gut aus). Präsident Taft, der wegen eines „Hilfe, ich stecke in der Badewanne fest!“-Unfalles nicht ins Frontenac ziehen wollte, kommt vorbei, und natürlich Wolfe und Montcalm, die gegnerischen Generäle, die man auf einem gemeinsamen Obelisk ehrt; sie haben beide die entscheidende Schlacht 1759 an den Plains of Abraham nicht überlebt – eine Schlacht die nach wochenlanger Belagerung in nur  20 Minuten zur britischen Übernahme der Stadt führte, man hatte einfach immer an der falschen Stelle versucht… Fortan fürchteten sich die Quebecois eher vor den Amerikanern als vor den Briten. Die Story, warum die Franco-Kanadier sich 1775 nicht den USA angeschlossen haben?! Die Amerikaner hatten als Argument geliefert, dass man so nicht nur die Briten, sondern auch den Papst loswerde – das geht ja gar nicht in einem katholischen Land: Quebec blieb unter dem (gnadenlosen?!) Einfluss der katholischen Kirche, und so ist die Provinz Québec bis heute französisch, säkularisiert zwar, aber die französische Kultur wird, seit der Einfluss der Kirche („…furchtbar!“, sagt Marie, die Klosterschülerin…) in den 60er Jahren eingebrochen ist, durch Gesetze der Provinz geschützt. Französisch ist die erste Sprache, und wenn die Queen zu Besuch kommt, registrieren die Quebecois das, wenn überhaupt, „mit mildem Interesse“. Wir hätten noch Stunden zuhören und gucken mögen. „Tours Voir Québec“, Quebec City Walking Tour. Total empfehlenswert.
Kleiner Nachschlag am nächsten Tag, hier wissen wir sogar den Namen der jungen Führerin: Sarah zeigt uns das Fort von Quebec (das noch immer eine Militärbasis ist und daher nur mit Führung zu besichtigen ist). Hier sitzt heute die vortreffliche Julie Payette als Generalgouverneurin, mit einem tollen Blick über den Strom und die Stadt – muss ja, man musste ja sehen gegen wen man sich verteidigt. Na gut, an diesem Tag ist die Sicht gemäßigt… das benachbarte Chateau Frontenac steht im Nebel, und an uns läuft der Prasselregen nur so herunter (ein Hoch auf meinen australischen Lederhut… der Eignerhut, südafrikanisch und aus Stoff, hält dem nur kurz stand), aber egal, wir sind dennoch gebannt. 

Eins meiner liebsten „Plakate“

Und schon sind wir ein Städtchen weiter, und marschieren mit 315.000 (sagt die Polizei) bis 500.000 Menschen (sagen die Veranstalter) fürs Klima durch Montreal. Die Stadt hat den Tag zum Kulturtag erklärt, Autoverkehr in der Innenstadt ist abgewürgt, dafür dürfen wir von Longeuil mit dem Zug kostenlos anreisen, die Menge ist faszinierend bunt, auch faszinierend jung (wir sind mit Abstand die Ältesten!), und die

… oder doch das hier?!

Reden der ortsansässigen Aktivisten, z. B. die der „first Nations“, sind ausreichend mitreißend (es hapert ein bisschen an der Akustik, dadurch wird Französisch anstrengend…). Zum Abschluss die berühmte Greta. Wir wünschen uns unabhängig von Personen, dass die Bewegung ihren Schwung erhält, und dass wir alle gute Ideen zur Abwendung der drohenden Katastrophen entwickeln. Mitmachen!

Und nun? Weiter am Rande des Ozeans wieder nach Süden. Irgendwie. Kanada hättte mehr verdient als nur eine Stippvisite.