Von Deltaville nach Costa Rica

Bordleben im Winter

Tortuguero/Costa Rica, 13.2.2020

Am 24.1. hatte das Schnattern an Bord der Akka endlich ein Ende, „endlich“ ebenso in Tüttelchen wie „schnattern“, so lang sind 9 Tage ja nicht, aber wir haben doch öfter unserer schönen Zentralheizung gedacht (deren Dieselpumpe seit 2007 zur Diesel-Umwälzpumpe für den Kraftstofftank umfunktioniert ist, drum…). 

Autoabgabe in Richmond, die Firma Enterprise shuttelt uns zum Amtrak-Bahnhof, und der Fahrer ist wieder einmal einer von der „oh wow!“-Sorte, als wir erst Florida, dann Mittelamerika (oh, wow-wow!) als Ziel benennen, und irgendwie zieht er uns noch die Segelreise aus der Nase, was ihn fast gegen den virtuellen Baum fahren lässt. Diese Last an Bewunderung addiert sich zu unseren je 8 kg Rucksack (finden wir gut für drei Monate, wobei es ein bisschen geschummelt ist, der Eigner hat noch eine Schultertasche, in der sich Rechner und Reisebibliothek befinden). Lässt sich aber alles gut schulterrn, der Weg von der Wartehalle bis zum – Tuut! Tuuuut! – Gleis drei ist nicht weit. Amtrak schiebt im Nordosten viele Pendler hin und her, Washington und New York sind ja fast um die Ecke, an amerikanischen Maßstäben gemessen. Ab Richmond südwärts scheint uns der Schwerpunkt der Klientel aber mehr auf Familienreisen zu liegen, ein paar Kreuzfahrer kommen dazu, die in Miami ihr Schiff besteigen. Man stratzt zur nächstbesten Abteiltür, an der ein Schaffner auf Gäste wartet, der guckt auf einen handgeschriebenen Plan und sucht ein Loch für uns: „… nach rechts, linke Seite Nummer 15 und 16“. Fertig. Nix elektronisches Reservierungssystem. 17 Uhr 17. Der Zug – das Tuut! Tuuuut! Tuuuuut! wird uns jetzt 24 Stunden erhalten bleiben, denn an jedem Bahnübergang tutet’s –  rattert los, der Schaffner scannt von unserem Smartphone den QR-Code der Buchung (diese komischen Fleckenquadrate), verfällt aber sofort ins Altmodische, indem er einen Filzstift zückt, einen kleinen Zettel mit „FLD“ markiert und über unsere Sitze steckt – jetzt sind wir offizielle Amtrak-Passagiere bis Lauderdale und vor weiteren Kontrollattacken geschützt. Bisschen Gefummel mit der Sitzverstellung und ab geht die Eisenbahn, in die bald einbrechende Nacht hinein. Die 24 Stunden sind sicher „Mittelstrecke“, auf deren Zügen es keine besseren Sitze gibt, höchstens eine Liegekabine zum dreifachen Preis. Urteil: geht (ganz gut, sage ich, der Chef verbiegt sich trotz viel Beinfreiheit ein bisschen die Knochen; so ein dämliches nierenförmiges Kopfkissen, wie es dieser Tage an jedem 2. Rucksack baumelt, wäre vielleicht doch nicht schlecht). Ob man in Ost-Westrichtung bessere Liegesitze kriegt? Wir werden sehen… Gegen Luftzug holen wir unsere Pareos und eine dünne Fleecedecke raus, das reicht aus, der Zug ist unamerikanisch moderat gekühlt. Irgendwann essen wir von unserem „mitchebrachten Pickerd“, nämlich die vorletzten Deltavillebrötchen, daddeln noch ein bisschen im Zug-Wifi und versinken im Schlaf. Zum Sonnenaufgang in Jacksonville gleißt durch das leider schmutzige Abteilfenster schon die Floridasonne – das wird mit einem Kaffee aus dem Snackbarwagen gefeiert, und den allerletzten Brötchen. Während wir lesen und und das Bord-WiFi weidlich nutzen – youTube und WhatsApp erlauben zum Beispiel einen transatlantischen Austausch über Chattanooga Choo Choo und andere musikalische Amerikanismen – dreht der  Zug eine üppige Schleife durch Zentralflorida und die Westküste und ist nach genau 24 Stunden, auf die Minute pünktlich am Ziel (nicht nur die DB hat einen schlechten Namen, dem sie nicht immer gerecht wird! Auch auf Amtrak wird geschimpft). Bus in die Stadt, kurzes Umsteigen am Breeze-Terminal. Kostet alles wirklich wenig, nämlich einen Dollar pro Bus und Nase. Eine Brücke über den Intracoastal Waterway öffnet sich – zu unseren Ehren vermutlich, damit wir mal mitkriegen, wie das ist, wenn Akkanauten da unten den ganzen Verkehr mit ihrem Durchfahrtbegehr aufhalten. Und dann ist es schon bald geschafft. Das etwas in die Jahre gekommene Seaclub Resort, direkt an der Strandpromenade (4-6spurig, klaro!) gelegen, nimmt uns in Empfang. Noch ein schickes Essen beim hauseigenen Italiener; wir verweisen auf unser Dasein als Backpacker und das damit einhergehende Budget, sehr zum Leidwesen des trinkgeldheischenden Kellners… und „plumps“. Koje. Nicht wirklich. Zwei wahrlich königliche Queensizebetten stehen zur Verfügung. Wir haben Urlaub!

Was tut der brave Urlauber? Natürlich. Geht shoppen. Der Eigner war ohne die ausgelatschten Trekkingsandalen angereist, und ohne Ersatzbermudas, das ergibt am Sonntag nach ausgiebigem Marathon-Gucken zuerst einen Gang zur Galleria-Mall (Ecco-Schuhe, European Design ist immer noch „in“, trotz Donnies „tariffs“) und eine kurze Busreise zur Sawgrass Hill Outlet Mall. Wie das in den USA so ist: x Kilometer und 80 Minuten „kurz“. Kost‘ aber auch nur einen Dollar. Klarer Fall von „Transportwesen für die weniger begüterten Mall-Mitarbeiter“. Und für uns. Und kurzweilig dazu. Es ist am Sonntagnachmittag grauenhaft voll, der generelle Konsum- paart sich mit dem Schnäppchenwahn, aber Columbia hat die gewünschten Hosen – und ein Hemd für mich, was dazu führt, dass wir eine Gepäckrevision vornehmen und am Montag ein Päckchen mit Überflüssigem nach Hause schicken (meine überzähligen Socken wären, wie sich herausstellen wird, in einem schwülwarmen Klima, in dem nichts trocknet, so überzählig nicht gewesen, aber man muss auch mal kühne Entscheidungen treffen). 

Montag ist auch Hausaufgabentag, will sagen: Planungstag für die Weiterreise. Nicht so einfach. Die Flugangebote sind verwirrend, viele Direktflüge voll und mit jedem Tag näher am Abflug steigen die Preise. Auch ein Bus von San José nach Managua will gebucht werden, um bei der Immigration die Wiederausreise dokumentieren zu können, sonst lässt man uns gar nicht erst auf den Flieger – leichte Aufgabe, es gibt sogar einen Online Chat mit Tica Bus in San José.  Es wird ein Flug mit „Spirit“, auf ungepolsterten ÖPNV-Sitzen und vielen Extragebühren für Gepäck, Eincheckschlange, Getränke, Sitzreservierung. Atmen ist allerdings kostenfrei (makabrer Scherz – ein Passagier wird das Ziel nicht unbeschadet erreichen).  Ein Tagesausflug nach Miami beschert uns das Pre-Superbowl-Fieber, ein Riesenrummel am Strand von South Beach, aber wir können uns doch ausreichend an starken Muskelmännern und -frauen ergötzen, die sich dem Strand-Fitnesswahn hingeben. Und am Freitag sind wir in San José.

Und das fühlt sich gut an! Mittelamerika! Stadt-Chaos statt Walmart!