Dover? Klintholm?

Bitter Guana Cay

Bitter Guana Cay/Bahamas, 28.3.2022

Es ist blau. Und schön. Und sonnig. 3 Millionen – oder mehr – Jahre alte Erdgeschichte vor unseren Augen, und die Damen und Herrn, die am Strand umherrennen, haben Vorfahren aus diesem Zeitalter: Felsleguane. Cyclura cychlura, hier auf dem Bahamas mit drei Unterarten vertreten. Auf Bitter Guana Cay ist es Cyclura cychlura figginsi. Echte Urviecher, mit einem Scheitelauge, und leider eingestuft als „vom Aussterben bedroht“, zumindest die Unterarten figginsi und die von Allan Cay, C.c. inornata. Der Andros-Leguan ist lediglich „bedroht“ – ganz interessant deswegen, weil Andros eine größere Insel ist und daher den Leguanpolulationen mehr Rückzugsraum bietet als die kleinen Cays der Exumas.  Das spielt vor allem bei Naturkatastrophen eine Rolle, vor allem Hurrikane beeinträchtigen den Lebensraum – bis sich die Vegetation erholt hat, dauert es nach einem Wirbelsturm eine Weile,  bis dahin ist „Hungertuch“ angesagt.  Was nicht heißen soll, dass unsere Leguane nichts anderes kennen als die ewig gleichen trockenen Blättchen und die gelegentliche Fliege… nee, es kommen ja fast täglich Touristen zum Glotzen. Damit kommt gleich das größte Bedrohungspotenzial ins Spiel – der Mensch, der Ziegen mitbringt, die den Leguanen das magere Essen wegschnappen. Oder der Feuer macht. Hunde oder Katzen ansiedelt. Die Touristen bringen gern irgendwelche Dinge zum Anfüttern – wäre schön, wenn es beim Salatblatt bliebe, was ich nicht glaube, aber selbst das tut den Kerlen nicht gut.  Der Bestand ist in stetigem Schrumpfen begriffen. Das machen sich die Besucher wahrscheinlich nicht klar, die hier für 5 Minuten anlanden (die Leguane sind ja nicht so niedlich wie die berühmten, für uns eher berüchtigten schwimmenden Schweine vom benachbarten Big Mayor Cay). Das Kurzprogramm sieht vor : an Land waten. Salatblatt. Foto. Haken an die Box „Leguansichtung“. Bemerkenswert fand ich gestern die Gäste einer großen Motoryacht, die parallel zu uns ankerte und auch über Nacht blieb (und zum Sonnenuntergang einen echten Pistolenschuss abgaben. Die haben einen Knall, im wahrsten Sinne des Wortes). Diese Gäste zeichnen sich dadurch aus, dass sie zu sechst im hüfttiefen Wasser sitzen, Bierdosen im Neoprencooler in der Hand halten  und quatschen. Mit dem Rücken zum Strand, wo gerade 3 Mio. Jahre Naturwunder an ihnen vorbeimarschieren. Vielleicht haben sie die Leguane mit ihrem rückwärtigen Scheitelauge betrachtet, in diesem Fall  bitte ich um Verzeihung. Es macht mich verrückt. Der Hammer ist ein Dinghy, das samt Hund (!) angefahren kommt – glücklicherweise sind die Leute aufmerksam genug, um das Tier zurück ins Boot zu bugsieren, nachdem es schon zur Jagd angesetzt und eine Panikattacke in der Leguangemeinde verursacht hatte. Die. Sind. Vom. Aussterben. Bedroht. Ihr. Heiopeis!  Ich finde es derweil nett, bäuchlings im Sand zu liegen und einfach nur zu gucken. Galapagos‘ Meerechsen kommen uns in den Sinn. Und Komodowarane.  Aber ich denke, wir Menschlinge kriegen das schon hin mit dem Aussterben.

Felsleguan

Hier ist so ein freundliches Exemplar –  übrigens sind die schon so an Menschen gewöhnt, dass sie im Silikonbeutel für meine Kamera Fresschen vermuten. Nicht so toll.

Sonst? Exumas Land&Sea Park war schön wie immer. Wir vertrödeln die Zeit. Zeit bis zu einer irgendwie gearteten Abreise. Dover? Klintholm? Oder doch lieber der Kreidefelsen von Bitter Guana?  Im Moment lockt uns Europa nicht so sehr, und auf den Azoren fürchten sich die Leute vor einem Vulkanausbruch. Wollen wir dort hin? Hm. Vorstellbar wäre eine letzte Wirbelsturmsaison in den USA. Aber dann! Wir diskutieren das noch ein paar Tage.

Nein! Mein Scheitelauge zeige ich nicht!

Ein launiger Titel…

… fällt mir gerade nicht ein.

Nassau/Bahamas, 4.3.2022

2. Woche Ukraine-Krieg. Was für ein Wahnsinn. Wozu? Wir waren wohl ein bisschen naiv, als wir bis zuletzt gedacht haben, das werde sich friedlich(er) richten, und uns auf ein gewisses Unbehagen beschränkten. Mich erinnert das alles an die 60er/70er/80er – und die akute Situation an die Fassungslosigkeit, mit der ich im ersten Golfkrieg die „Live-Berichterstattung“ zum Frühstück serviert bekam. So auch jetzt, am Anker in den Bahamas. Dabei könnte es ungeteilt schön sein.

Interessiert da irgendwen noch, wie wir die USA hinter uns gelassen haben? Vielleicht.

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Zwei Tage braucht es von St. Augustin nach West Palm Beach oder genauer: zwei Nächte. Ich habe gerade wieder das gute alte Stutgeron (aka Stugeron oder Cinnarizine, ein Zufallsfund aus Suriname anno 17) als Initialpille neu erfunden, macht sich gut – und so richtig schaukelig wurde es auch nicht. Merkt man am Seetagsritual: üppiges Frühstück mit Ei. Leider ist der Vorrat – ich hatte die Hälfte weitergegeben, ohne je Ersatz zu bekommen – mit 3 Tabletten eher knapp bemessen, aber als Seebein-Findungsmittel sollte es bis zu den Azoren reichen. Die Fahrt verläuft dicht unter der Küste, damit der aufmerksame Segler nicht in den Golfstrom gerät , sondern auf einen nach Süd setzenden Gegenstrom hoffen darf. Das mit dem Gegenstrom geht dieses Mal nicht ganz auf, aber was macht schon ein halber Knoten gegenan. Prima. In Höhe Canaveral gibt es einen kleinen Umweg ums Kap: temporäres Sperrgebiet wegen Raketenstarts – irgendein kleines Forschungsding, das dann im Endeffekt doch nicht fliegt; wir lesen später „gezündet, aber nicht abgehoben“. Dumm gelaufen. West Palm Beach empfängt uns mit zwei windreichen Tagen, an denen jegliche Dinghyfahrt „Dauerdusche“ bedeutet, aber wir liegen vor den Superyachten der Rybovich-Werft/Marina vor Anker und haben als Freizeitprogramm zumindest „oh“ und „ah“-Momente, wenn einer der Ochsen einläuft; Freizeit mit Bastulatur – Hecklicht ausgefallen, AP Navigator läuft nach der Relingsmontage nicht mehr,  der Motor startet nicht so frisch-fröhlich wie sonst. Kurz: das ganz normale „irgendwas ist immer“-Programm. Und alles lässt sich lösen. Auch das Wetter beruhigt sich, und es dauert nicht lang, bis sich ein Wetterfenster über den Golfstrom auftut – schnell noch etwas einkaufen, kleiner Ausflug zum Wassermacherbetrieb für Filternachschub, das war’s auch schon. Tschüss USA! Halt!  Nein… Covid gibt es ja auch noch, und neben der Tatsache, dass für die Einreise ein Antigenschnelltest zu absolvieren ist, möchten die Bahamas gern ihr neues, unausgegorenes Online-Einklarierungssystem namens „Click2Clear“ genutzt haben. Da ist Facebook gefordert – die jeweiligen Reisezielgruppen sind uns lieb und teuer geworden, und dies ist ein schönes Beispiel, wie nützlich das sein kann. Der moderne Internetnutzer ist geneigt, sich als erstes irgendwo zu registrieren, wenn die Option angeboten wird. Also wühlt sich frau durch die Registrierungsformulare (das hatte sie schon in St. Augustine vergeblich getan und dank steter Selbstzweifel gibt es einen neuen Versuch….) – das Ende der Fahnenstange ist wie schon zuvor „country of residence“. Da gibt es nur eine Möglichkeit: Bahamas. Isernhagen/Bahamas. Interessante Kombination. Nachfrage bei Facebooks „Bahamas Land & Sea“; „…ach, Du musst Dich nicht registrieren, einfach auf Permit Request klicken“. Siehe oben, unausgegoren.  Danach zieht es sich dennoch bis zum letzten Schritt, dem Ausdruck der Zahlungsquittung. Dazu schreibt der Gruppenguru auf meine Frage Tröstliches: „…you are not blind. The system is not intuitive. Be prepared for a face-palm or two.“  Danke, ich bin doch nicht doof. Zum Abschluss noch der Rapid Antigen-Test – danach hat man 72 Stunden Zeit, die Bahamas zu erreichen. Den lassen wir in Radelreichweite bei einem Pop-Up-Testcenter im Park machen, sehr praktisch und kostenfrei.

Covidtest Pop-Up im Park

Kurzes Nasebohren, nach 15 Minuten das (gewünschte) Testergebnis, das allerdings auf meinen zweiten Nachnamen lautet: Deutsch. Arrgh, passiert doch immer wieder, doofes Pass-Layout. Zurück, nachbessern, dann passt alles. Noch zwei Schritte: die Ergebnisse bei der Bahamas Gesundheitsbehörde hochladen, die Health Visa kommen innerhalb von Minuten; die Health Visa wiederum im Antrag auf  Cruising Permit hochladen, fummel, fummel, fummel – zahlen, fertig.  Der Lohn der Mühe? Am Folgetag rutschen wir über den Golfstrom nach West End auf Grand Bahama. Einklarieren? Was im Jahr zuvor mehr als 1 1/2 Stunden gedauert hatte, ist jetzt in 5 Minuten erledigt. So macht Einklarieren Spaß. Und alles ohne Papierkrieg. Womit wir wieder beim Thema wären.

Nassau. Muss nicht, aber kann durchaus…

Gruß aus den Bahamas. Nassau. (…wer will denn da hin? Wir! Immerhin 100 Meilen weiter südlich – das Wetter verlangt dieser Tage kleine Schritte). Direkt an der Hafeneinfahrt liegt Akka noch für ein paar windreiche Tage, bis es in die westlichen oder südlichen Inseln weitergeht – und Nassau stellt sich nicht so grässlich dar wie häufig kolportiert. Ja – am Ankunftstag 6 Cruiseliner, gestern nur 2, aber das verteilt sich in einer Stadt wie dieser besser als auf kleinen Karibikinselchen. Und die Kreuzfahrer machen sich spätestens abends auf die Socken – und drehen dazu vor unserer Nase im Hafenbecken. Spannend. Wir genießen Sonne und türkisfarbenes Wasser, ab und zu kommt selbst hier im Hafen eine Schildkröte vorbei.
Es ist gut, auch wenn es politisch gesehen besser sein könnte. Seid nett zueinander!