The extra mile

West Palm Beach. Vorne ziemlich „hui“!

West Palm Beach/Florida, 18.12.2020

Walking the extra mile – das nennt man hier so, wenn Leute einen Umweg für einen machen. Oder auch „going out of their way“, seinen Weg verlassen, für andere. Nett können sie hier sein, wirklich. Politisch ist es nach wie vor kitzelig, zwar bastelt Joe Biden an seinem Kabinett und setzt Leute ein, die auch ein bisschen die enttäuschten Progressiven einfangen sollen, die für das kleinere Übel gestimmt haben (Buttigieg, Haaland, Regan in den letzten Tagen), währenddessen heizt Donnie weiter die Stimmung an (schickt aber auch trostreiche Sprüche nach Europa „the vaccine is on its way!“.  Immer für eine Clownnummer gut, der Herr). Mein Lieblingsspruch dieser Tage ist – ich übersetze mal „Obwohl die Wissenschaft festgestellt hat, dass Corona überwiegend durch Mund und Nase übertragen wird, steht nun fest, dass Arxxlöcher den wichtigsten Übertragungsweg bilden“. Das ist ein Meme mit Lucy aus den Peanuts, sehr schön!  Da Lucy ja auch das Psychologenbüdchen bei den Peanuts betreibt (zur Erinnerung: „The psychologist is: IN“), gibt es auch ein Bild von Donnie an diesem kleinen Beratungsstand: „Pardons 1 Dollar – The President is: IN!“  Möglicherweise ist er das dieser Tage tatsächlich, ganz in der Nähe, und hält den Verkehr auf: wenn Trump in Mar-a-Lago ist, öffnet die Flagler-Memorialbrücke nur ganz selten. Der Kerl hält den ganzen Schiffsverkehr auf, der Gegensatz zur extra mile. Ein Nachbar hat ihm dieser Tage geschrieben, er möge doch bitte woanders hinziehen als nach Mar-A-Lago…

Wir haben es auch gerade mit Meilen zu tun. Zunächst mal hatten wir wunderbare Segelmeilen von Cape Canaveral nach West Palm Beach, 19 Stunden sanftes Segeln. Gern würden wir jetzt die Meilen nach den Bahamas hinter uns bringen, auch dazu muss man die „extra mile“ einrechnen: man muss nämlich des Golfstroms  wegen ordentlich nach Süden vorhalten. Aber dazu gibt es im Moment gar keine Gelegenheit –  das Wetter nagelt uns fest. Diese Woche hatten wir ein klitzekleines Fenster, in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, das wir ab Montag scharf beobachtet haben. Wir arrangieren den Covid-Test für Dienstagmittag auf dem Parkplatz des Palm Beach Sailing Clubs (auch das eine extra mile, mit dem Dinghy…), aber das Fenster wird immer kleiner, so dass wir uns dagegen entscheiden; den Testtermin können wir gerade noch absagen. Nun sitzen wir hier, und bis nach Weihnachten sieht alles ziemlich „windig“ aus, und zwar windig aus der falschen Richtung.  Wir werden es verkraften und die Situation im Auge behalten – das Visum ist noch 5 Wochen gültig, nach Weihnachten  sollte was gehen.
Aber es werden keine Däumchen gedreht – während ich mit mehr oder weniger dauerhaft schließenden Einmachgläsern kämpfe (die eingekochten Bratwürstchen im Bonne Maman-Glas haben wir gestern Abend zur Hälfte vertilgt, wegen „Unschlüssigkeit“), macht sich der Eigner an Technisches. Langweilig ist es nicht, und es erfordert einige Radelmeilen in der Stadt.

Intrepid. Nur das Begleitschiff für die Luxusyacht Infinity *

Unsere Ankerposition ist ein bisschen abgelegen, zumindest was das Feld der anderen Ankerlieger betrifft, ich finde es aber angenehm hier. Ich kann schwimmen, das ist wichtig, ab und zu kommt eine dieser wahnwitzigen Luxusyachten vorbeigeschippert und lässt unsere Münder offen stehen. Vor uns die Reihe derLuxusanwesen, hinter uns werden Container geladen, gute Mischung. Allerdings muss man einiges auf sich nehmen, wenn man zum Einkaufen möchte: entweder man bindet sich für ein kleines Parkentgelt bei der Riviera Beach Marina an (tadadadaa! Klingeling! 16 Dollar für 3 Stunden!) und hat es dann nicht gar so weit zum Publix Supermarkt an der Blue Heron Bridge, oder man rödelt die extra mile nach Süden zum Palm Beach Sailing Club, muss dafür dann 3 Meilen zurück nach Norden, und das inklusive der steilen Hafenbrücke.  Bei anderen Anlegemöglichkeiten machen wir die Erfahrung, dass man nicht immer die „extra mile“ geht, um es uns nett zu machen, da kriegt frau dann ein striktes „…we don’t do dinghy docking“ zu hören (dabei war’s beim Schwesterclub von Riviera Beach. Dummbätze. Oder auch nicht, ich glaube, Amerikaner leben oft in der Furcht vor Schäden und haben gern Rechtssicherheit). Das Resultat – nämlich unverrichteter Wäscherei- und Einkaufsdinge abzuziehen – fordert meine Ungeduld ungebührlich heraus, so dass die Stimmung eine kleine Delle kriegt. Szenen einer Bootsehe. Da kümmern wir uns doch lieber um die Gefrierbox. Will sagen: the extra mile, per Fahrrad. Die Räder schließen wir nun beim Sailing Club an (Wochengebühr 100, aber dafür dürfte man auch duschen, parken …) und dann ab dafür. Australian Avenue, Beard Marine – Bestellung einer neuen Kühlschranksteuerung. Dabei fällt uns ein, dass das Wasser in letzter Zeit einen leichten Salzgeschmack hat –  ob wir eine neue Membrane bestellen können? Die alte datiert aus dem Jahr 12.  Wir können. Zurück zum Boot, Wasservorrat herstellen und die Membrane ausbauen. Der Eigner schnallt sich die 1.20 lange, schwarze Röhre kunstvoll auf den Rücken, ich radele hinterher und wünsche: hoffentlich kommt nicht der Sheriff und fragt nach einer Waffengenehmigung. Gut auf diesem Weg die stadtplanerische extra mile: der President Obama Highway hat einen ausreichend breiten Fahrradstreifen. Wir radeln zu Beard durch eine Gegend, die als „besser nicht bei Nacht durchstreifen“ beschrieben wird – es ist wirklich unglaublich, was für Welten hier in West Palm Beach aufeinander stoßen, aber wir sind ja auch nur ländliches Virginia wirklich gewohnt, und da tritt der systemische Rassismus nicht so zutage. In jedem Fall: Dem-Wähler-Domäne.

Nach dem Motto: „irgendwas ist immer“ gibt meine Fahrradschaltung nach dem steilen Anstieg über die Hafenbrücke auf, also gibt es anderentags eine „extra mile“ zum „Breward Motorsports Spezialized“ Fahrradladen (man befleißigt sich auch des Motorrad- und, wichtig in Florida, des Jetskivertriebes). Weil wir auf dem Weg – macht unterm Strich eine Meile weniger! – die Wäsche endlich einliefern wollen, kommt es zu einem netten Erlebnis: während der Eigner das defekte Fahrrad bewacht, lasse ich, weil sie auf den Schultern zu schwer wird, die Tasche an einer Straßenkreuzung dieser wenig belebten Gegend rasch auf dem Rasen sitzen, um in eine nahegelegene Münzwäscherei zu flitzen, und zu checken, ob es auch einen Abholservice gibt. Oh, Sancta Naivitas. Zwei Minuten später ist die Tasche mit all unseren guten, dreckigen Sachen verschwunden… „Hey! Hey – stop that!“. Das gilt dem jungen Mann mit dem Mountainbike, der gerade 20 m weiter unsere schöne Ikeabettwäsche, Buxen und Geschirrtücher auf der Wiese verteilt, zwecks Vorsortierung. Mein CAT-Hoodie aus Patagonien liegt schon separat, das wäre ein herber Verlust gewesen, aber der Typ springt auf sein Fahrrad und flitzt vondannen. Glück gehabt. Der weitere Weg ist lang, aber die Fahrradreparatur geht fix vonstatten, Max aus Argentinien hat den Trick raus – er meint, es sei nur die schlappe Kette, irgendwie muss das Hinterrad ein bisschen in die Ausfallenden gerutscht sein, während wir eher an Drehgriffschaltung, Kabel und Ritzel gedacht hatten. Wir halten einen Schwatz, können mit Südamerikareiseerfahrung punkten, Max macht sich die Hände für uns schmutzig – und natürlich ist der Service kostenfrei. Nächster Stop ist der Best Buy (Media Markt für Amerikaner) und seine Service-„Geek Squad“, die sich des Eigners Rechner anschauen sollen; der will nämlich nicht mehr starten, elektrisch (siehe oben, irgendwas ist immer). Der Entschluss ist nach der Aussage „difficult, 400$ for a diagnosis“ ist sofort gefasst, nach nur 22 Monaten gibt es ein neues Gerät. Das ist aber nicht in dieser Filiale erhältlich, sondern „nur 8 Meilen, 15 Minuten weg! In Wellington!“. Klar, mit dem Auto – aber mit dem Fahrad?  „…what? BICYCLE?“ Ja, Pustekuchen, die Uhr zeigt 15:30, in 2 Stunden sollten wir bei Akka sein.  8 Meilen Fahrrad in die falsche Richtung? No way. Und noch sind wir ja auf dem Trip „nächste Woche geht’s weiter“, also passiert online auch nichts. Auftritt Scott Feldman, seines Zeichens HP-Vertreter: „… ach, ich hole Euch das Gerät her. Soll ich zwar nicht, mache ich aber für Sie!“  Wenn das mal nicht die extra mile ist, im wahrsten Sinne des Wortes durch den Feierabendverkehr. In der Wartezeit kommt ein kleiner Meilenrückschritt, der wohlverdiente Kaffee bei Dunkin‘ Donuts ist mal wieder ein Geduldsspiel mit desinteressiertem Kassierer und einer Barista in der Hauptrolle, die zwischen Bezahl- und Brühvorgang erst einmal länglich aufs Klo muss… (soviel zu Service- und Freundlichkeitsparadies Amerika).  Jedoch: um 17 Uhr ist Scott zurück und strahlt, alles geregelt, wir treten in die nun wieder vollumfänglich funktionierenden Pedale, 4 Meilen heimwärts zum Sailing Club.  Sonnenuntergang um 17:30 … Passt! Als wir das Dinghy auf Relingshöhe kurbeln, wird es dunkel. Viele Meilen! Und einige extra miles!

 

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* wir schreiben einen Wettbewerb für offene Münder und Kieferklemmen aus: 

Supportschiff Intrepid , 27 Crew. Mutterschiff Infinity  8 Crew, 14 Gäste. Ob die Beschäftigten auf Infinity wohl per Beiboot oder per Helikopter hin und her sausen?  Was ein schnöder Werkzeughandel so hergibt…

 

Verfressenes Schweigen

Atlantischer Sonnenuntergang

Port Canaveral, 6.12.2020

Warum passt eigentlich keinerlei Nikolausgabe in eine FlipFlop-Sandale? Ich gebe zu, die Eigner-Flops sind ausgelatscht, mehr flop als flip, aber auch meine Birkenstocks standen an Deck, und nichts drin – muss man die beleuchten?  Ganz gleich, der Nikolaus war nicht da, jedoch kam das Geburtstagsmännchen zum Geburtstagsmann und bescherte einen schlichten (noch zu füllenden) „Angel Food Cake“. Mit Kerze. Immerhin.  Happy Birthday, lieber Eigner! Nachher lassen wir einen fliegen, hier in Canaveral – Elon Musks SpaceX schickt eine Nachschubkapsel zu ISS. Wir finden es wirklich nett, dass er den Start auf den Eigner-Geburtstag verschoben hat: als wir gestern in die Ferne lauschten, die avisierten 11:39 verstrichen und immer noch nichts passierte, kein Grollen, kein Lichtschein (im Nebel) ahnten wir schon – das wird eine Geburtstagsrakete. Oder dann zu Weihnachten.

Beaufort-Charleston war eher langweilig, zwei Tage, zwei Nächte Motorgebrummel. Nun ist das hier mit dem Golfstrom so eine Sache, schiebt der Nordwind einen nach Süden, türmt sich die See vor einem auf, das hat man, insbesondere frau nicht so gern, kommt der Wind aus Süden, hat man Strom und Wind auf die Nase, eigentlich ein Fall für „warten auf das ideale Wetterfenster mit moderatem Westwind… Wir wollen aber nicht weiter warten und nehmen Lärm und Vibrationen (dazu später mehr) in Kauf.

Charlestons Altstadt

Bis Thanksgiving halten wir es in Charleston aus, ein beeindruckend kolonial erscheinendes Städtchen –  natürlich eine moderne Großstadt, aber wer vor dem Stadtzentrum liegt, hat den alten Kern in fußläufiger Reichweite (und einen wunderbaren Harris Teeter Supermarkt). Die alten Handwerkerhäuser sind heute eher mit „Attorney at Law LLC“, also mit Rechtsverdrehern, Finanz- oder Immobilienmaklern und anderen werkzeuglosen Firmen besiedelt. Schicke Läden, von Victoria’s Secret bis zur polnischen Töpferei, ein paar Galerien und Restaurants (hübsch leer alles). Viele Kirchen natürlich, ein Querschnitt durch die Besiedlungsgeschichte, inklusive einer deutsch-lutherischen. Eine recht unamerikanisch europäische Anmutung, schön zum Spazierengehen. Historisch-ökonomischer Hintergrund: Sklavenhandel, vor allem der Briten.

Neues Charleston: die Brücke über den Cooper River

Wir liegen in einer städtischen Marina – nur eine Handvoll Plätze werden verwaltet, und zwar coronagerecht: es gibt keinen Zugang zu irgendwelchen Klos oder Waschräumen, kassiert wird aber persönlich am Steg per Kreditkartentransmitter, und das Empfangskommittee ist nett und sehr bemüht. Weil das mit den Duschen nicht funktioniert, gibt es den Strom für das haus-/bootseigene Warmwasser umsonst; wir können ein paar Tage lang auch den Heizlüfter gut gebrauchen. Ist halt Winter hier an der Ostküste, und obschon es in South Carolina gelegentlich angenehm frühlingshaft ist, gibt es auch das Unangenehme am Frühling, das Feucht-Kalte.

Ein Containerfrachter „dackelt“ zum Terminal in Amerikas 4.-größtem Hafen

Der Strom im Fluss ist kräftig, nebenan schieben dicke Containerschiffe und Autotransporter ein bisschen schief durch die Fahrrinne. Vorne ein Schlepper, hinten einer, so geht das. Wir werden bei Ankunft wegen des starken Querstromes gewarnt und kassieren dann ein lobendes „… look at that! They know what they do!“.  Mein Eigner, der Anlegekünstler.
Am Thanksgiving Day  – den wir natürlich fast verpasst hätten, für uns ist halt der 4. Donnerstag im November ein Donnerstag – ist es draußen fast totenstill. Niemand auf den Straßen, niemand mit dem Boot unterwegs. Ich dachte immer, dass Thanksgiving ein Dinnerereignis sei, aber uns stellt sich diese Stille schon tagsüber als verfressenes Schweigen dar. Ob es da sowohl mittags wie abends Truthahn gibt?  Am Nachmittag werden Hunde und Kleinkinder kurz spazierengeführt, danach herrscht wieder Stille. Wenn man in die News und Social Media schaut, ist seit Tagen Gravy-, Truthahnfüllungs-, Cranberrysaucen- und Pumpkin Pie-Alarm.  Die Leute müssen von der Völlerei so fertig sein, dass sie sich am Folgetag, dem berüchtigten Black Friday, alles andrehen lassen – der Dockmaster ist Gamer und will uns so rasch wie möglich loswerden am Freitag. Black Fridayyy! Shopping! Alle Spiele zum halben Preis! Sagt er mit träumerischem Blick.

Weiter geht’s. Charleston-Fernandina Beach in Florida ist der Plan, gerade hinter der Grenze zu Georgia. Der Segeltag ist gemischt, teils stark bewölkt. Morgens früh stehen wir vor der Einfahrt nach Fernandina, es regnet und ist kühl und feucht – nicht das Wetter, um es sich am Ankerplatz recht gemütlich zu machen: „… was hältst Du davon, wenn wir gleich nach Cape Canaveral durchschieben?“  Uggh. Ich habe gerade meine Hundewache beendet, da fehlt es mir an der Flexibilität für spontane Planänderungen, aber wie der Käpt’n so ist, überredet er mich doch. Noch ein Tag, noch eine Nacht, immer schön die Küstenlinie entlang südwärts. Der Strom ist mit uns – sehr interessant zu sehen (zum Beispiel bei Passageweather), wie sich das von Tag zu Tag ändert: man hat häufig nach Süden setzenden Gegenstrom zum Golfstrom, und das bleibt auch so bis zum Kap – das ist der östlichste Buckel in der Floridaküste. Je näher wir ihm kommen, umso mehr Verkehr, in den frühen Morgenstunden mehren sich nämlich die Angelboote auf dem Weg ins Sonntagsvergnügen. Mein Highlight: ein Gegner mit AIS, den man überhaupt nicht ausmachen kann in der nun dunklen Nacht. Mit 30 Knoten (30 Seemeilen/h, also 54 km/h) genau in unsere Richtung – wie ich es liebe. Als der Vektor auf dem Plotter anzeigt, dass wir nicht kollidieren werden, fegt er, ein sicher gut motorisiertes Freizeitboot, an unserer Steuerbordseite vorbei. Ein Vollpfosten ohne jedwede Beleuchtung. Mit 30 Knoten – so ein Horst. Nachtwachen können wirklich anstrengend sein; auf der Strecke nach Charleston hat mich eine einsame, unbeleuchtete Tonne auf meiner direkten Kurslinie 1 1/2 Stunden in Trab gehalten. Fluch und Segen der elektronischen Navigation –  früher hätte man drauf zugehalten bis es „kläng“ macht. Nachdem die Angler durch sind, wird der Horizont grau, Dämmerung, Sonnenaufgang, Frühstück. Am Horizont stehen die alten Gebäude für die Spaceshuttles und Apolloraketen, daneben die Startrampen für SpaceX und Co.   Cape Canaveral und das Kennedy Space Center gleiten vorbei..
Wir biegen in den Bargekanal ein (das ist der Kanal, über den Raketenteile ins Space Center geschifft wurden). Der Tankstopp an der Cape Marina entbietet ein tolles Willkommen: Blue Lives Matter Flagge*, Make America Great Again, Konföderierten-Tuch – hier sind wir ja richtig; wobei ich Blue Lives Matter am schlimmsten finde. Schnell bezahlen und nix wie weg. Kontakt mit dem Port Canaveral Yacht Club: den neuen Dockmaster kennen wir nicht, ich frage nach Matt, dem drahtigen Navyveteranen mit dem Hang zu Donald „…  nein, die sind weg, aber Ihr erkennt unser Boot an den Flaggen, in spot 5.“ Ihr ahnt es. Wenn es nur die riesigen Stars and Stripes wären, die man da über der Marina wehen sieht, aber viel augenfälliger ist „Trump 2020 – No More Bullshit!“ . Wir sind nicht die einzigen, die wenig begeistert sind von so viel Trumptreue (und, wie sich herausstellt, Coronaleugnung). Vor allem die Durchreisenden aus dem Nordosten  – hier gern „snowbirds“ genannt, frei übersetzt mit Schneehühner, die dem nördlichen Winter entfliehen, auf Booten, mit Flugzeugen und allem was sich sonst bewegt – bieten sich für einvernehmliche Gespräche an, während man gegenüber den betreffenden Fahnenschwenkern eher in peinliches Schweigen verfällt.  Der Tenor übrigens liegt derzeit eher bei „hoffentlich war’s das jetzt!“. Hochstimmung geht anders. Donnie tönt auf widerliche Weise in Georgia herum, glücklicherweise wirbt er bei seinen Anhängern für die Stichwahlen und macht gleichzeitig das System so schlecht, so dass sich hoffentlich recht viele Republikaner entscheiden, diese Senatorenwahl auszulassen (Obama himself trommelt auf der anderen Seite, auch eine Premiere –  ex-Präsidenten haben sich bislang immer vornehm zurückgehalten). Wäre nicht übel, wenn der Senat eine Demokratenmehrheit bekäme – jede Stimme, jeder Zentimeter in die richtige Richtung hilft. Witz am Rande: gestern Abend nennt Trump die hoffentlich neue Regierung „marxist“.  Mei, ist das ein mühsames Geschäft, und so abstoßend, dieses Prozedere. Wobei es natürlich auch viel zu lachen gibt, insbesondere um den neuerdings auch öffentlich furzenden Rudy Giuliani. Eine Wahnsinnstruppe.

Da machen wir doch lieber Handwerkliches. Erst will der Sterling Laderegler nicht, wie der Technikus will (da könntest Du mal einhelfen, Roland!). Die Schipperin jammert: die Kühlbox kühlt nicht mehr. Das regelt der Eigner mit Einbau eines lange mitgeschleppten Ersatzreglers, nach ausgiebiger Korrespondenz mit Isotherm, die bei so alten Geräten natürlich nicht wirklich helfen und schon gar keine Ferndiagnose liefern können. Lustig: eine Kontrollleuchte erlischt gar nicht mehr, auch nicht, wenn man das Gerät abschaltet, stattdessen erfreut sie uns mit dem hellsten Diodenrot, das die Akka je gesehen hat. Aber immerhin, die Box kühlt. Naja, nicht wortwörtlich – jetzt gefriert sie. Besser als nüscht.

Die ausgiebigen Motorstunden haben leider auch zutagegefördert, dass wir nach kunstvollem Aus- und Wiedereinbau der Propellerwelle in Deltaville „neue“ Vibrationen haben. Unsere ehemalige Lieblingsdrehzahl lässt Akka sich schütteln. Nicht doll, nur anders. Und unangenehm. Das macht mal wieder Sorgenfalten, Kopfschmerzen, schlechten Schlaf beim Chief, und kleinere Horroszenarien tauchen auf: was, wenn wir noch einmal aus dem Wasser müssen? Nochmal die Welle ziehen? Wo? Wann? Irgendwie würden wir ja doch gern weiter in die Bahamas –  und wenn man bedenkt, wie sorglos hier im Süden mit Coronamaßnahmen umgegangen wird, stellt sich die Frage, wann hier die „Thanksgiving-Welle“ eintrifft. Ob die Bahamians uns dann überhaupt noch haben wollen?  Also zermartert sich der Eigner den Kopf, was wie wohin geschoben werden muss bei der Motorausrichtung – schließlich geht es nur um Millimeter. Zwei Flansche – ein Spalt öffnet sich oben. Lässt sich regulieren. Prima. Jetzt öffnet sich ein Spalt nach schräg unten. Es wird gegrübelt, gezeichnet, theoretisiert und Zahlenreihen werden vor sich hin gemurmelt. Und das einzige, was ich tun kann, ist Bratkartoffeln mit Spiegelei und Salat zu servieren. Ob’s hilft? Der Versuch, den Motor um 3 millipü zur Seite zu rücken, misslingt, dennoch ist das Endergebnis tagelanger Denk- und Schraubarbeit deutlich besser als der vorherige Zustand. Gut. Putzig, dass ein Schiff, das an Land steht, sich so anders formt als wenn es schwimmt. Nigel Calder, unser Bibel-Autor und Ratgeber in allen Technikfragen sagt: „…engine alignment can be time consuming and very frustrating!“ Wohl wahr…
Und nun?  Verfallen wir in verfressenes Geburtstagskuchenschweigen.

Weihnachtspäckchen unterwegs zur ISS

Die SpaceX ist soeben Richtung ISS abgehoben – gewaltig. Ich denke, die Astronauten werden auch verfressen schweigen können, da ist außer frischem Equipment auch die ein oder andere Weihnachtsschokolade an Bord.

Von Vibrationen (weitgehend) befreit geht Akka demnächst weiter. Letzte US-Station: West Palm Beach, Donalds Home-Turf – von uns allerdings nicht seinetwegen, sondern als Ausgangspunkt für die kürzestmögliche Strecke in die Bahamas gewählt. Der Segler muss innerhalb 5 Tagen einen Corona-Test absolvieren, ein Health-Visum in den Bahamas beantragen, das negative Testergebnis eilig dorthin mailen, die Erlaubnis für die Einreise abwarten und dann hinüberhupfen und mit all dem Papierkram vorstellig werden. Die zeitlichen Prognosen für dieses Hin- und Her sind bislang aber günstig, trotzdem macht sich eine Tagestour als Reisedistanz gut. Oder ein „Overnightie“. Wir werden sehen.

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* Blue Lives Matter ist eine Bewegung, die sich gegen Gewalt gegenüber der Polizei einsetzt. Die Flagge ist eine schwarz-weiße „Stars & Stripes“ mit einer blauen Linie, der „thin blue line“. Statistisch steht Gewalt gegen (blau gekleidete) Polizisten in keinem Verhältnis zur Gewalt gegen schwarze und farbige Amerikaner und den systemischen Rassismus in den USA.