Tief geschürft

7.2.2016 – Kapstadt

Hier ist was los – wir überlegen gerade, wo wir noch ein paar Angstleinen ausbringen können. Kein Flugtag für kranführende Gänse! Gestern abend fing das Geheule, das zweite in dieser Woche, an – wenn der Tafelberg sich seine graue Mütze aufsetzt, wissen die Bewohner der Marina, was die Stunde geschlagen hat. Seit Stunden haben wir jetzt 40+ Knoten Wind, man muss aufpassen, dass es einen nicht vom Steg haut. Mit Spannung beobachten wir kleinere Aulösungserscheinungen an Nachbarbooten, ich selbst fühlte mich um 5:30 heute früh bemüßigt, die durchgescheuerte Firstleine von unserem Cockpitdach zu ersetzen. Die Fußschlaufen an der Rückwand mache ich erst, wenn der Tafelberg die ominöse Wolkenmütze abgesetzt hat, angeblich am Dienstagmorgen. Aus meiner Sicht darf es gern gleich aufhören, es schläft sich bei dieser Geräuschkulisse nämlich schlecht. Eine Lektion haben wir heute gelernt: lass keine schönen TEVA-Flipflops auf dem Steg stehen. 1. haben wir heute nacht damit Plastikmüll (zwei Paar!) gemacht und 2. trauern wir dem Müll auch noch hinterher. Nächste gute Flipflopstation: Brasilien.
Dies war das schon lange zur Veröffentlichung anstehende Vorwort zum eher Tiefschürfenden.

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Oudtshoorn, 19.2.2016, auf Landreise

Höhepunkt der ersten Kapstadtwoche betraf einen Tiefpunkt der südafrikanischen Geschichte – ein Besuch auf Robben Island. Dass wir uns etwas schwer tun mit der südafrikanischen Gegenwart, hatten wir ja schon gesagt, und wer Kapstadt besucht, muss natürlich Robben Island gesehen haben, die Insel, die 6 Seemeilen vor der Stadt liegt, ein flacher Haufen Fels und Sand. Schon Bartolomeu Diaz, der als erster die Kaps gerundet hat, bediente sich hier, denn es ist eben nicht nur Fels und Sand, sondern war damals eine Art Seefahrer-Supermarkt: reichlich Wasser aus Quellen, viele Pinguine, Robben und Schildkröten zum Auffrischen des Proviantes. Das blieb so, bis im 17. Jahrhundert die holländischen Könige auf die gute Idee kamen, dass dort vor der Station der Holländisch-Ostindischen Kompanie ein Inselchen liegt, das ideal geeignet ist, unliebsame Mitbürger – vom aufsässigen Prinzen bis zu Leprösen und geistig und körperlich Behinderten – zu verwahren und sie gleichzeitig  im Blick zu behalten. Als die Briten übernahmen, behielt man diese Sitte bei. Nachdem die Kranken im 20. Jahrhundert nach Kapstadt verlegt worden waren, entwickelte sich unter dem Apartheidregime allerdings eine der harschesten Gefängnisinseln für politische Gefangene, die man sich vorstellen kann, und heute ist es ein täglich von vielen Hundert Touristen aufgesuchtes Ziel, natürlich vor allem, weil Nelson Mandela hier mehr als 18 Jahre seiner Haft abgesessen hat. Der Tourist wird von einem schicken Museumsgebäude am Victoria&Albert-Vorhafen auf Fähren ge- und im Hafen der Insel abgeladen. Die Guides sind ehemalige Häftlinge, was die Führung umso authentischer macht. Wir haben in den letzten Jahren schreckliche Aufbewahrungsorte für Häftlinge gesehen – die Teufelsinseln in Französisch Guyana zum Beispiel, das Stasigefängnis in Rostock, die Gulagausstellung in Moskau oder das unsägliche Gefängnis 21 in Phnomh Penh. Der Schrecken hier scheint uns in einer gnadenlosen Zermürbungstaktik gelegen zu haben, angefangen von mangelhafter Ernährung, über die – später von der UN kritisierten – Kontaktsperren, Schreibverbot, Leseverbot; Letzteres waren „Privilegien“, die man sich verdienen musste und jederzeit wieder gestrichen werden konnten.  Ein Beispiel aus dem Tollhaus der Apartheid-Denkungsweise bleibt für mich die Ungleichbehandlung der Häftlinge: Weiße und „Coloureds“ – auch genannt „Bräunlinge“, Mischlinge zwischen weiß und afrikanisch-schwarz oder asiatisch-braun  – „nicht-Schwarze“ also, erhielten lange Hosen und Schuhe, schwarze Afrikaner keine Schuhe und nur kurze Hosen (nebenbei bemerkt ist es hier in der Tafelbucht schon im Sommer arschkalt…).  Uns wurde ein System von unterschiedlichen Haftphasen vorgeführt, Einzelhaft für die Unbotmäßigen, Sammelzellen für über 50 Leute, Isolierung der politischen Führer und militärischen Kader in Einzelzellen, Beschränkung von Rechten (Besuche, Briefe…). Sehr „nett“ auch die Rationierung: Schwarze 5 Ounces (140 g) Pap und Muckefuck, nicht-Schwarze 6 Ounces (180 g), mit Tee-Berechtigung.  Und so fort.  Dazu schwere, aber sinnentleerte Arbeit und viel persönliche Grausamkeit seitens der Wachmannschaften – ein wirkliches Wunder, dass man das über lange Jahre mit klarem Geist übersteht. Im zweiten Teil unseres Besuches wurden wir über die Insel gefahren und bekamen einen sehr eindrücklichen Vortrag über den zentralen Kalksteinbruch, in dem auch Mandela gearbeitet hat – so hell übrigens, dass alle Beteiligten Katarakte entwickelten, aber selbst den Wachmannschaften wurde das Tragen von Sonnenbrillen untersagt. Hier kam dann eine „Geschichte“, ob Legende oder nicht: in einem Einschnitt des Steinbruchs, der gleichzeitig den einzigen Schattenplatz darstellte, wurde der Gemeinschaftsabort eingerichtet, und des Schattens wegen nahm man dort auch das Mittagessen ein. Lecker. Der Schuss ging ein bisschen nach hinten los, weil Weiße, auch Wächter, bekanntlich (oder nicht bekanntlich) „schwarze Aborte“ wegen der Apartheidregeln nicht besuchen durften; so wurde diese zum Himmel stinkende Kantine ein Ort, an dem Schlüsselfragen des politischen Widerstandes diskutiert werden konnten. Eine weitere dieser Geschichten betraf das Haus, in dem man Robert Sobukwe gefangen hielt, in absoluter Einzelhaft. Rein rechtlich keine „Haft“; denn nach Abbüßung seiner Freiheitsstrafe wegen Aufwiegelung wurde er sofort deportiert und mit einem absolutem Kontakt- und Sprechverbot versehen, das er nur durch eine Art Zeichensprache umgehen konnte, wenn sich andere Häftlinge jenseits des Zaunes aufhielten: Sand streuen, Hand heben, Steine drehen. Robert Sobukwe war einer der Anführer des „Dom Pass“.Protestes, der Afrikaner dazu aufforderte, ihren Pass bei der Polizei abzuliefern – ein Afrikaner ohne Pass musste eingelocht werden, und man wollte mit Massenverhaftungen ein Zeichen setzen. Leider kostete die entstehende Nervosität 69 Menschenleben, als die Polizei auf die Massen zu feuern begann.
Noch eine Geschichte: das Tennisspielen. Die Häftlinge in Block A und B, Kader und Anführer, hatten in den späteren 70er Jahren durch Hungerstreik einige Rechte erstritten – das Recht zu lernen und zu lesen sowie zu lehren – andere Häftlinge, aber auch Wächter bekamen hier von den teils hoch gebildeten Häftlingen alles beigebracht, Lesen und Schreiben, Fremdsprachen, juristische Fachkenntnissen. Zu diesen Rechten gehörte das Gärtnern in den Innenhöfen der Blocks und das Tennisspielen. Auch das Tennisspielen zwischen den Blocks, natürlich nur ganz versehentlich. Mit Bällen, die man öffnen und eingeschlossene Nachrichten entnehmen konnte: das „Robben Island Post Office“.  Mandela hat übrigens den ersten Entwurf seines „Long Walk to Freedom“ in seinem Garteneckchen verborgen. Man scheidet von dieser Insel mit der Frage, wie man selbst wohl so eine Haft überstanden hätte. Wahrscheinlich nicht ungebrochen.

Jedenfalls hat mich der Besuch animiert, ein bisschen offensiver im Umgang mit Südafrikanern aller Couleur zu sein, zu fragen, auch dumm zu fragen.  Ein gutes Erlebnis war ein Treffen mit einem Clubmitglied, der vor nicht allzu langer Zeit ein Buch geschrieben hat, „Back to Angola – From War to Peace“, das mich schwer beeindruckt hat. Paul Morris hat eine interessante Fahrradreise in Angola unternommen, denn er war 1987/88 als Pflichtsoldat im Kampfeinsatz in Angola – auf Seiten der Südafrikaner, in „unserem“ Stellvertreterkrieg zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Der Erste, der mir jemals Kampfhandlungen beschrieben hat und auch, wie man im erzkonservativen Südafrika der Apartheid gedacht hat, wie militärisch seine Jugend geprägt war und wie es ist, wenn man sich als Pflichtsoldat nach einigem Überlegen eigentlich auf der falschen Seite der Geschichte positioniert sieht. Die Reise, die 2012 stattgefunden hat, war kein lustiges Strampeln, sondern die Suche nach dem neuen Angola, die Konfrontation mit den alten Gespenstern und das Davonradeln vor ganz akuten Gegnern und Bedrohungen: angolanische Behördenvertreter, namibische LKWs, Magendarm-Infekte.  Gutes Buch, finde ich, und es hat mich auch über die eigene Geschichte denken lassen, besonders der Geschichte der Männergeneration unserer Väter und all der komischen Figuren, die unsere Lehrer waren und vielleicht doch den einen oder andere Dachschaden aus dem Krieg zurückgebracht haben.
So wurschteln wir uns durch die politische Landschaft, hören von abgrundtief schlechten Verhältnissen an den Schulen, denen jedes Geld fehlt, um denen, die sich private Schulen nicht leisten können, eine auch nur annähernd adäquate Ausbildung zu geben. Wir hören von haarsträubenden Fehlbesetzungen in Schlüsselpositionen der Wirtschaft und in Behörden, wo man der Schwarzenquote gerecht wird, indem man den nächstbesten nicht-Qualifizierten dort hinsetzt.  Vom Unmut der Frauen über die absolut patriarchalische Kultur der Xhosa und Zulu. Und natürlich nehmen wir das wahr, was Paul „die Paranoia unserer weißen Mittelschicht“ nennt. Siehe der Beitrag „… aber nicht in die Stadt gehen…“. Und richtig platten, offenen Rassismus gibt es auch, aber den eigentlich eher in der Form von Weißen gegenüber ihren schwarzen Mitbürgern.

Jetzt fahren wir gerade durch die Lande, sitzen im Moment im paradiesischen Garten einer Pension à­n Oudtshoorn, genießen den Ausblick auf Natur und die fernen Bergen zu allen Seiten und die Annehmlichkeiten vornehmlich weiß (und bunt) initiierten Wohlstandes – und wissen doch, dass nur wenige Kilometer von hier Townships liegen, in denen schwarze Afrikaner in erbarmungswürdigen Umständen leben.

Während sich aber  bei den Weißen schon eher Unruhe bemerkbar macht – wir sehen jetzt, woher die vielen Auswanderer in Neuseeland und Australien kommen! – hörte ich neulich von einer schwarzen Verkäuferin, mit der ich lange sprach: „… so ist das hier in Südafrika!“
Der Tenor ist aber auf allen Seiten: wir sind im Umbruch. In welche Richtung es geht, wissen wir noch nicht.  Kurz: so richtig optimistische Stimmen fehlen uns noch.

Aber hurra! Im nördlichen Angola hat man auch tief geschürft und dabei den größten Diamanten der Region gefunden. Der Erlös kommt dort bestimmt der Allgemeinheit zugute…

Ein Gedanke zu „Tief geschürft

  1. Zu dem Int. Führerschein und Kfz-Schein*, haben wir immer folgende Methode angewandt, für die man einen Büro-Datums-Stempel mit verstellbaren Zahlen und ein Stempelkissen braucht. Wir haben eine Schablone in der Größe des Papiers, wo der Platz des Datums für die Gültigkeit ausgeschnitten ist. Das Papier mit der aufgelegten Schablone und durch Büroklammern fixiert legen wir für 1-3 Tage aufs Armaturenbrett und schwups hat die UV Strahlung das Feld für den neuen Stempelabdruck frei gemacht.
    Da das deutsche Papier in D nicht gültig ist haben wir uns im Ausland auch nicht strafbar gemacht. Wir haben den Stempel ja nicht entfernt — das war die Sonne und die können wir nicht steuern. Aber so verfügen wir immer über ein gültiges Papier. Vor der Einreise in die EU lassen wie das Papier allerdings auch nicht offen rumliegen.
    * int Kfz-Schein bekommt man nur, wenn der letzte TÜV Termin nicht weiter als 3 Monate zurück liegt.

    Ein anderes Thema:
    Wie sieht das aus, wenn ihr mit dem Boot wieder in die EU einreist? Für Fahrzeuge, die länger als drei Jahre im Ausland waren wird bei der Einreise eine Einfuhrsteuer, die sich nach dem Wert + Mehrwertsteuer richtet, vom Zoll des Landes erhoben in dem das Fahrzeug in die EU eingeführt wird. Deshalb kommen die Südamerika-Fahrer nach Dakar im Senegal und fahren dann über Mauretanien und Marokko nach Spanien. An der spanischen Grenze weiß in der Regel ja keiner, dass das Fahrzeug länger als 3 Jahr in Übersee war. Deutsche werden bei der Einreise beim zeigen der Pässe in aller Regel durch gewunken.
    Euch noch viel Spaß im afrikanischem Winter und wann seit Ihr wieder auf der Akka zu hause?
    LG Gerolf & Gisela

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