Lauter Funfacts

Deltaville, 23.November 2021

Lausig kalt ist es in Deltaville geworden, und eigentlich sollte dies ein rechter Jubelthread werden, so etwas wie „…hurra! Wir sind unterwegs nach Süden!“ Dickes Plus: seit letzter Woche sind wir im Wasser, das ist ja schon mal was. Die Probefahrt verläuft friedlich und genussvoll. Wir sind zurück in der Fishing Bay.

Auf den letzten Blogeintrag hin hieß es, dass es zwar nett sei, von uns zu hören, aber diese ganze Technik… Ihr Lieben, das ist einfach, was uns umtreibt, und kurzweiliger wird dieser Eintrag daher nicht; vielleicht wird er aber ein bisschen bürokratischer. Übrigens rächt sich jetzt, wenn ich allzu lange mit einem Eintrag warte – ich weiß schon gar nicht mehr, was alles an Banalitäten passiert ist. Also los!

Oktober!  Irgendwie rückt uns die Terminlage auf die Pelle. Das US-Visum läuft am 3.12. aus, und unser Arbeitstempo lässt zu wünschen übrig. Früher war mehr „volle Kanne“. Die Tage beginnen mit dem klassischen frugalen Frühstück und einer länglichen Internetsitzung – dem läuft natürlich zuwider, dass die Tageslängen schrumpfen. Wir gehen vielleicht nicht mit den Hühnern schlafen, aber zumindest das Rumbasteln stellen wir mit dem Sonnenuntergang ein, wenn auch die Hühner das Eierlegen einstellen.  Viel Kleinkram ist im Sommer an der Hitze hängengeblieben, nun entmutigt einen der sich türmende Kleinkramberg. Zum Beispiel Thema Dinghy – hatten wir ja schon, die Luftverlustsache haben wir für erledigt erklärt, aber dass es uns beim Transport an Deck Lacksplitter serviert, stört. Projekt: Lackentfernung. Die Schipperin, die blöde, geht zu Hurd’s und guckt sich Lackentferner aus, irgendwas, das „effektiv“ aussieht. Der ältere Verkäufer empfiehlt „CitriStrip“ im hübschen, orangefarbenen Container, was die Käuferin als „höchst alternativ anmutend“ bewertet und abwählt. Die beiden gewählten Varianten erweisen sich als wenig wirksam. Sehr mühsames Geschäft. Wir fragen beim Bootshersteller in Kolumbien, aber der kann für das alte Ding keine Aussage zur Lackqualität treffen – aber bei den mühseligen Versuchen sieht man, dass die Malaysier bei ihrer Schönheitslackierung über eine alte (Pulver?)beschichtung gepönt haben, die sich als sehr widerstandsfähig erweist. Nach ein bisschen Forschung fahren wir nach Gloucester, zu Nordamerikas Farbspezialisten Sherwin Williams – wir erinnern uns nämlich an die Entfernung von 18 Antifoulingschichten im Jahr 2004 mit einer Art süßlich bis übel riechendem Pudding namens „Peel Away“, und den gibt es dort. Wunderbar, das kennen wir , das funktioniert, das Zeug wird uns auch noch als besonders wirksam gepriesen. 20 Meilen hin, 20 zurück. Glücklicherweise recherchiert der Eigner vor Öffnen des Containers im Netz, und was da steht, weist nicht unbedingt auf Entfernung modernerer Lacke hin. Telefonat mit dem Hersteller – nein! Da müsst Ihr Strypeeze nehmen (20 Meilen hin, 20 Meilen zurück – die Sherwin Williams-Mitarbeiter sind auch ganz dankbar für unsere Schulung).  Dann mal druff mit dem Zeug, das auch noch stinkt wie eine Chemiefabrik für Organisch-Chemisches (besonders wenn frau die Innenseite des Dinghys behandelt, dann sammeln sich die Gase besonders freundlich). Versuchsanordnung „Auftrag und Abdecken mit Backpapier“ folgt,  mit gestaffelter Einwirkzeit, aber Ihr denkt es Euch schon: das Geschäft bleibt mühsam. Funfact ist, dass ich unterm nicht besetzten Nachbarkatamaran sitze und gelegentlich Ratgeber vorbeitraben, die sich an den mehr, meist aber weniger großen Fortschritten freuen und vor allem zwischen „mach das doch mit der Hand“ oder „mach das doch mit der Maschine“  schwanken. Ich mach’s halt chemisch. Maschine haben wir probiert, vergeblich. Und nur mit der Hand? Ich bin nicht Popeye. Aber mühsam ist es – das sagte ich bereits. Bliebe nur eines: die Aufgabe des Projektes, aber einen Versuch geben wir ihm noch. Back to the roots, back to Hurd’s. Hurd’s ist der örtliche Hardwarestore, und der Spruch auf dem Boatyard ist: „… if Hurd’s doesn’t have it, you don’t need it!“  Wir investieren doch noch einmal in CitriStrip, das alternativ ausschauende (wer mal gucken will, wie ich auf die Fehlannahme kam, das könne nur unwirksam sein, sollte mal bei YouTube nach selbst gemachten Reinigungsmitteln aus Orangenschalenaufguss schauen…). Und CitriStrip ist… Bingo! Fun! Ein bisschen Mühe bleibt noch, aber das Zeug tut’s. Ich will nicht wissen, wie es wirkt – es riecht angenehm und wandelt doch den Lack in leicht zu entfernende Schmiere. Ende vom Lied? Ein natur-alufarbener Dinghyrumpf und eine Abbitte beim älteren Verkäufer bei Hurd’s. Nach getaner Tat sieht natürlich der alte, rutschfeste Belag im Dinghy doof aus, angefressen wie er ist. Nächster Fun: Suche nach einer Alternative (gekürzte Fassung – erst viel Internet, dann schwarze Gummifußmatte von Lowes Hardware. In Gloucester. 20 Meilen hin… ihr wisst schon. Manche Sachen, die man braucht, hat Hurd’s dann eben doch nicht). Zieht eine schwierige Suche nach einem Kleber nach sich, der nun (hoffentlich) das Gummi mit dem Alu verbindet.
Nur mal so als Beispiel für Projekte, die sich lang hinziehen.

Apostille? Was’n das?

Nun der Bürokratieteil. Es war vor einigen Tagen wirklich so weit, dass ich die Nase vergleichsweise voll vom Fun hatte. Nicht nur, dass es technisch nur langsam vorangeht, nein, es gibt immer wieder neue Kleinhindernisse. Ein Notar in Hannover möchte die Beglaubigung einer Unterschrift, die wir schon aus den Bahamas eingesendet hatten, nun mit einer Apostille – unnötig zu sagen, dass die hiesige Notarin nicht mal weiß, was das ist (wir auch nicht, es ist die behördliche Beglaubigung, dass die Notarin eine Notarin ist. Braucht zwei Briefe nach Washington.). Dann schmeißt Frau Fuchs ihren Laptop die Treppe hinunter, das ergibt eine besondere Variante eines Split Screen: das Glas ist heile, aber Display trennt sich vom Deckel und seitlich guckt eine Platine raus. Nicht gut. Zusammenbau, starten (noch einmal), danach passiert nichts mehr. Fummel, fummel, externen Bildschirm anschließen (inklusive Kurs an der YouTube Universität und beim Acer-Forum, leider ohne Diplom). Suche nach Spezialisten (nicht so dolle in rural Virginia, am liebsten ist mir der mit dem Office im Schreibwarenladen in Gloucester, der nie da ist und auch nie zurückruft. eMail-Verkehr? Ist in den USA zumindest unaufgefordert sowieso ein bisschen „off“. Wie übrigens auch Messenger. SMS schon eher…). Ach… shit happens.
Nächster Fun: fehlendes Cruising Permit für die USA – wer mit der Absicht ausreist, wieder einzureisen, sollte sein gültiges Cruising Permit beim CBP löschen lassen. Wer nicht beabsichtigt zurückzukommen, tut das natürlich nicht, so wie wir im vergangenen Januar, wir wollten ja in die Karibik; aber dann gibt es halt auch kein neues Permit, wenn der geneigte Segler es sich anders überlegt. Die Bedingung für die Neuausstellung ist, das Boot nach Ablauf des Permits 14 Tage außer Landes zu bringen, in unserem Fall nach dem 15. September. Das ist einfach unmöglich, denn jedwedes „außer Landes“ ist viele hundert Meilen fort…  – Mexiko oder Kanada sind sowieso nicht „außer Landes“, die Bahamas oder Bermuda oder die Karibikwelt liegen voll im Hurrikangürtel, um dessentwillen wir uns hier oben herumtreiben. Also muss es ohne gehen. Telefongespräch mit dem extrem netten CBP-Officer Amiss in Richmond. Es geht tatsächlich ohne – „holt Euch zur Abfahrt eine Clearance hier in Richmond, danach in jedem Hafen Clear In/Clear Out…“ Kompliziert und kostenpflichtig (à 19 US$ je Vorgang), aber wer ankert und keinen Hafen anläuft, erspart sich Weg und Kosten. Wir wissen, was wir zu tun haben werden. Trotzdem versuchen wir noch einmal einen anderen Kanal, um ein Permit zu erlangen, nämlich den Officern in Norfolk einen Überraschungsbesuch abzustatten und ihnen eines aus den Rippen zu leiern. Leider ist das Vorhaben nicht von Erfolg gekrönt. Nett sind sie, aber unnachgiebig. Wir hören von vielen solchen CBP-Stationen – nur zu einer Frau in New Bedford scheint noch nicht durchgedrungen zu sein, dass solches Ansinnen strikt ablehnend zu behandeln ist, aber Massachusetts ist weit. „Betty“ in Baltimore gibt es übrigens auch nicht mehr. Auf der Rückfahrt – diese Tagestour buche ich als „unsere Sommerreise“, zu mehr reicht es nicht – gucken wir uns einen neuen Rechner mit heilem Display für mich aus. Gut, noch ein bisschen recherchieren, am Abend dann Onlinekauf. Oder – nicht so gut, denn das zieht eine Onlinezahlung nach sich, die damit einhergeht, dass ich eine vorgegebene amerikanische Adresse als bezogene Rechnungsadresse angeben muss, eher abenteuerlich, wie ich finde, ich vergewisserem mich auch zweifach, dass das in Ordnung ist, aber der Kauf klappt. Nächster Spaß: nicht alle Abenteuer gehen gut aus – beim nächsten größeren Onlinevorgang mit dem (übrigens selten dämlichen) Satphonestore wurde die Kreditkarte unwiderruflich gesperrt; die Bank verrät einem übrigens nicht den Grund. Aufgalopp vom Posthalter und Bruder, der mühsam die Ersatzkarte zu uns schaffen muss (was DHL dann tatsächlich innerhalb 4 Tagen hinkriegt, sehr gut. Für’n Fuffi…). Das war übrigens die dritte Kartensperre in 4 Monaten, 2 irreversible „harte“, eine weiche, und die Bank sagt dazu: „… haben wir keinen Einfluss drauf, das macht das System!“. Danke für wenig.
Mittlerweile ist es November geworden, wir haben noch ein paar Mal in der Sonne am Ponton gesessen und schon Vorfreude auf die Fahrt nach Süden geübt – es ist nämlich optisch und auch atmosphärisch sehr schön hier. Die Kiefern, der Eichenmischwald, die Ferienhäuser sind noch leerer als im Sommer, ein paar Segler, ein paar Fischer. Die Chesapeake Bay glitzert. Fun bei uns: ein paar Wochen wird im Bad gespült, dazu steht das Schmutzgeschirr auf dem Klodeckel und das saubere in der Abtropfschale in der Dusche. Funktioniert gut, man muss nur drauf achten, dass man vor nächtlichen Klogängen abgewaschen hat und „den Eimer“ wieder in die Schüssel… sage mal noch einer, dass wir keinen Campingurlaub hatten. Der Grund dafür ist der ziemlich verwinkelte Einbauort für das Kühlaggregat, für das wir auch das Küchenseeventil ersetzt haben, und für besseren Zugang ist die Küche quasi entkernt, Spüle raus, Trinkwassertank raus, Aggregat raus… Glücklicherweise ist es schon ausreichend kühl, so dass Kühlgut zeitweise in einer Plastiktonne an Deck stehen kann, mit etwas Eis aus dem Fischereibedarf frisch gehalten. Siehe oben, Campingurlaub. Vorm Einbau der Spüle muss noch die neue „Lackierung“ der Arbeitsoberfläche erledigt werden, die Folienstücke hatte ich schon vor Wochen zugeschnitten, aber dann… Rückbau auf Normalzustand. Das ist so ungefähr die Zeit, in der wir endlich den Antrag auf Verlängerung unseres Aufenthaltsstatus stellen wollen, es ist Wochenende, dann hat frau Zeit dazu. Die Formulare sind… Formulare eben, es werden ein paar merkwürdige Fragen gestellt, wie überall. Waren Sie Mitglied einer terroristischen Vereinigung, haben Sie eine paramilitärische Ausbildung genossen, und… nennen Sie Ihre I94-Referenznummer. Easy. I94 ist die Aufzeichnung der Ein- und Ausreisen aus den USA, früher bekam man dafür einen kleinen Papierwisch, heute geht das zumindest bei den Seereisen elektronisch. Frau guckt dazu auf die I94-Seite der Regierung, gibt die persönlichen Daten ein und liest die Nummer ab, die unter „letzte Einreise“ steht. Alles klar. Nun noch der zweite Streich. Persönliche Daten Eigner, enter, Einreise… Ups. Die letzte Einreise des Eigners war am 21.7.2020. Stimmt, da war eine, das war, als wir aus Guatemala kamen. Jetzt steigt der Blutdruck – im Klartext heißt das, das Andreas seit Juli 20 im Land ist und damit sein Visum um 12 Monate überschritten hat. Natürlich passiert das am Wochenende. Am Montag telefoniere ich mit Paul Amiss, der mittlerweile mein bevorzugter beratender CBP-Officer geworden ist. Er kann nicht helfen, aber doch die richtige Richtung vorgeben. Vor allem Papierberge nach Norfolk mailen und das Beste hoffen. Ich untermauere das noch mit ein paar Telefonaten („Haben Sie das erhalten?“ Nächster Tag „…fehlt noch was?“) Für das zu erhoffende Beste brauche Norfolk dann 5 Arbeitstage. Der Antrag soll eigentlich 45 Tage im Voraus gestellt werden, aber bis es endlich so weit ist, sind es kaum mehr 4 Wochen. Die Bestätigung, dass der Antrag eingegangen ist, steht noch aus, aber, wie das hier so ist… so lange man den Antrag gestellt hat und nichts Negatives hört, ist der Besucher geduldet. Irgendwie gibt einem diese Ungewissheit eine Ahnung davon, wie sich Illegale hier fühlen müssen. Luftleerer Raum… und nebenbei häufen sich die kleinen Schreckensstorys von Leuten, deren Visa abgewiesen werden, weil irgendwas in die falsche Schublade gerutscht ist. Das sind vereinfachte elektronische Abläufe.

Völlig losgelöst. Der Turbo.

Bis gestern übrigens waren wir sehr froher Dinge, dass wir bald losfahren, morgen eigentlich, nach Durchzug einer Front. Und seit gestern sind wir ganz froh, den oben beschriebenen Antrag gestellt zu haben. Warum? Weil wir gestern noch einen Motorprobelauf veranstaltet haben. Alles total schön und vibrationsfrei, so viel zur Chief-Engineer-Arbeit. Nur dass wir im selten erreichtenTurbobereich  nicht so recht auf Drehzahl kommen. Die Schipperin mit den peripher besseren Ohren wird am Motorraum positioniert. Drehzahlerhöhung, noch mehr, noch höher. Sirrt der Turbo? Nö…  Darf nicht wahr sein, oder? Not-so-much-fun: das Ding ist fest. Nein, der Turbo ist überhaupt nicht fest, im Gegenteil, seit heute ist er ausgebaut. Ersatz muss her. Ist Wochenende?  Nee. Dienstag. Und morgen ist Mittwoch. Und dann… Happy Thanksgiving! Mahlzeit!
Wir richten uns auf ein paar motorfreie Tage ein.  Schön kühl isses!