Ferien in Sankt Augustin

Leuchtturm im großen Grau

St. Augustine/Florida, 5.2.2022

Ferien auf Saltkrokan wäre ähnlich kühl, und vielleicht auch so wechselhaft. In meinem Gedächtnis spuken Tjorven und Bootsmann zwar immer auf einer sommerlichen Schäreninsel umher, aber Ostseewetter ist

… oder Marmorkuchen im Sonnenschein

Ostseewetter. Und Winter im nördlichen Florida ist eben Winter. Gerade heute wieder ist, nach 3 wärmlichen Tagen, Sockenalarm. Gutes Thema: gestern habe ich die von mir benutzten Waschmaschinen in der Marina abgesucht. Ich fand schon lustig, dass ich zuletzt 2 mit „links“ markierte Laufsocken hatte, die rechten scheinen schon zuvor den Weg aller Marinawäschereisocken gegangen zu sein: aufgefressen von Waschmaschinen oder Trocknern. Aber seit gestern nun habe ich nur noch eine einzige linke Socke. Ich finde das link.

Sebastian River aus der Masttoppperspektive

Unser Landaufenthalt ist irgendwo zwischen holperig und „alles glatt“ anzusiedeln. Das Problem Stevenrohr/Wellenlagergehäuse ließ sich schon beim Herausheben leicht erkennen, wir konnten sogar das Gehäuse von Hand einschrauben. Der holperige Teil?
Lee, der sehr freundliche, junge Boss vom St. Augustine Marine Center, sagt zum Empfang: „… in a couple of days you’ll be splashed again!“  Wie bitte? Ein paar Tage? Wir rechnen mit raus und rein, ganz fix. Aber wenn das Tempo erst einmal vorgegeben ist, passen wir uns an. Wir sind relativ sicher, dass man uns in Deltaville das falsche Schraubensicherungsmittel heiß empfohlen hatte, also suchen wir uns das richtige. Alles gut. Zum Abschluss eine Portion Dichtmasse, und die stellt sich beim zweiten Blick als langsam aushärtend heraus, nochmal von vorn… so geht unser erneuter Werftaufenthalt seinen Gang. Schon ist Freitag und die erste Arbeitswoche zu Ende – und wir müssen ja auch noch die Schmarre behandeln. Die sieht wirklich bedrohlich aus, jedenfalls von ferne betrachtet; vielleicht sollten wir doch lieber einen Fachmann befragen, der bei diesen miesen Temperaturen eine Gelcoatreparatur ausführen kann. Gesagt, getan, der Mensch kommt, stellt schon mal ein Gerüst an, dann kommt der Regen (die zweite Woche läuft!). 2 Tage später ist die Temperatur gerade so eben geeignet für das Gelcoat. Gleich früh morgens hören wir es draußen an der Bordwand schrubbeln. Dann braust eine Poliermaschine. Fertig! Fertig?  Wir sind echte Blindfische: was so übel aussah, war reiner Gummiabrieb vom Coast Guard-Dock. Fertig heißt allerdings nicht „ab ins Wasser“, dazu braucht es ja einen verfügbaren Travellift. Wir stehen kurz für den Freitag auf der Warteliste, aber miesestes Wetter macht uns einen Strich durch die Rechnung, und… am Wochenende ist in ganz Florida „Fallende Leguane“-Alarm: die Temperaturen sinken nahe an die Frostgrenze, nachts auch darunter, und dann fallen wechselwarme Tiere eben kältestarr von den Bäumen – wir loben uns unseren Landplatz und die Verfügbarkeit von Elektrizität, um unseren Heizlüfter zu betreiben. Termin: Montag. Als am Sonntag die Sonne wieder scheint – es ist immer noch bitter kalt! – knüpft der Eigner den großen Kugelfender ans Heck (der Fender belegt seit 15 Jahren die Hälfte der Badeplattform, geht aber nicht baden). „Guck mal hier! Am Heckkorb ist ein kleiner Riss im Rohr! Das müssen wir schweißen lassen!“ Oh, Mann… Die Aktion verläuft gleich am Montag ruck-zuck, aber unser Travelift ist dennoch abgefahren. Nächster Wassertermin: Donnerstag.
Einige Zeit um ein bisschen St. Augustine zu erkunden. Das ist in der so genannten Altstadt eher auf Tourismus ausgelegt, es schieben sich auch reichlich Besucher durch die zwei parallel gelegenen Sträßchen und ihre Nebengassen, vieles ist ein bisschen auf „extra spanisch“ getrimmt, Piratenstimmung, alte Karacken, Schifflaternen und so…, aber dahinter sieht man doch Spuren der alten Architektur, und das nicht nur an den protzigen Kolonialbauten der Spanierzeit. Besonders augenfällig: Balkone statt der in Nordamerika üblichen Veranden vor dem Haus.
Auffällig noch etwas anderes:  die Vielzahl Obdachloser. Wir nehmen an, auch die ziehen den Winter im Süden vor, selbst wenn es mal kalt wird. Wir dagegen haben uns das Café „Chocolatte“ auserkoren, um im Sonnenschein und Windschatten der Hintergassen übergroße Tortenstücke zu verschlingen und heiße Schokolade zu schlürfen. Wiederholungsbesuche finden ohne die mächtigen Torten statt, aber wir sind nicht weniger zufrieden.

Schrauben-Grabbelkiste mit Gartenharke

Ein kleines Technikparadies stellt der „Sailor’s Exchange“ dar – was auch immer es an Gebrauchtteilen geben mag, hier findet es der interessierte Besucher; mit Betonung auf „interessiert“ und das Maskulinum – ich konzentriere mich auf Sachaufgaben wie „such mal ein neues Scharnier für unsere achtere Backskistenklappe“ . Längeres Staunen lege ich lediglich vor den Sunbrellaresten ein, von denen ich selbst einige verkaufen könnte (vielleicht sollte ich ihnen

… hier gibt es (fast) alles

meine unangetasteten 2 Meter rotes Kunstleder aus Trinidad andrehen?!). Die Schipperin hat halt einen kleinen Horizont, für den Rest, also träumerisch durch Regale mit uralten Ankerwinschen oder pekigen Bilgepumpen zu streifen, fehlt mir die Fantasie. Aber die riesige Schraubenkiste, durch die der Käufer mit einer Gartenharke fahren kann, finde ich imposant. Und nebenan gibt es vorm Coffeeshop „Buena Onda“ einen guten Entspannungskaffee (Zitat: „…almond, oat, soy or milk milk?“). „Sailor’s Exchange“? Immer einen (Kaffee)besuch wert.

Das weitere leibliche Wohl wird hier dank „Winn Dixie“ befriedigt, 4 km Radtour; wäre nicht Sumpfland dazwischen, wäre man mit dem Dinghy über den Sebastian River schneller dort. Weiter weg den US Highway #1 entlang sind Walmart, Publix und auch ein eher chaotischer ALDI, der dafür aber Moser-Roth-Schokolade führt. Da lohnen sich die paar Extrakilometer Radelstress im sausenden Verkehr gleich wieder – alternativ zu bewältigen auf einem so verschlungenen wie holperigen Betonplattengehweg. Kein Wunder, dass hier kaum jemand zu Fuß geht.

Wildes Wetter am Steg – den Pelikanen gefällt’s

Akka mag ihren Ferienort – sie meint, dass sie von hier stamme, weil ihr Heimathafen bis 2003 auch „Sankt Augustin“ war. Im Rhein-Sieg-Kreis – man sieht, im Alter werden auch Schiffe etwas tüdelig. Wir mögen St. Augustine auch, irgendwie, es ist eine teils ansehnliche, zumindest interessante Mischung aus spanisch- und britisch-kolonialer Anmutung mit dem, was die USA sonst so ausmacht: weniger ansehnliche Strip Malls an breiten Straßen. Maritimes wie der Leuchtturm auf Anastasia Island macht das wieder wett. Oder das große Castillo de San Marcos. Ein gut sichtbares Stück frühe Kolonisationsgeschichte Nordamerikas: als im 16. Jahrhundert St. Augustine von den Spaniern gegründet wird, geht es bei dessen Verteidigung erst einmal um Piraten, die man von 9 kleinen hölzernen Befestigungsanlagen abzuwehren versucht, bis man sich entschließt, ein steinernes Fort zu errichten, das erste und damit älteste in den USA. Nur wenige Jahrzehnte danach, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, beginnen die Briten, sich auch für Florida zu interessieren, das riecht nach kriegerischer Auseinandersetzung, und so ist es dann auch, mit mehreren Belagerungen und wechselndem Ausgang. Der Pariser Friede beendet den 7jährigen Krieg, in dem sich alle europäischen Mächte unter anderem über ihre Überseebesitztümer an die Köppe gekriegt hatten. Die Briten und Preussen obsiegen, mit dem Ergebnis: Florida geht an die Briten, dafür kriegen die Spanier Havanna und … die Philippinen. Aus dem Castillo de San Marcos wird „Fort St. Mark“, dann unter den Amerikanern Fort Marion (letzteres keine Amerikanisierung von „Mark“, sondern nach einem General Francis Marion), bis es in den 1940er Jahren unter Denkmalschutz gestellt wird, inklusive dem alten Namen.
Das ist mal richtig alte Geschichte. Nicht so häufig hier!

Und jetzt? Warten wir aufs Wetterfenster, die alte Leier.

…in diesem Wässerchen ließ uns vor Kurzem der Strom nicht ablegen

Bis bald!