Ganz ruhige Kugel

21.05.2022
Vaters 112. Geburtstag feiern wir heute auf vielfachen Wunsch eines einzelnen Crewmitgliedes mit einer Tafel Milka Vollmilch zum kalten Kaffee. Zu dieser frugalen Feier hätte der alte Heinrich sicher eine Bemerkung auf Lager. Happy Birthday, lieber Heinrich (und das Gleiche an Enkel Christian!). Das Leben geht einen extrem ruhigen Gang auf Akka. Mittlerweile zumindest. Die Geburtstagsschokolade haben wir uns mit einem äußerst harmonischen Setzen des Genakers verdient. Genaker kommt nicht sehr oft vor, aber die Windarmut erfordert besondere Anstrengungen. Der erste Versuch gestern war durch ein da Capo gekrönt, weil sich die mühsam ins Masttopp gewinschte Wurst als leicht vertörnt herausstellte, aber danach… erste Sahne, die Fahrtzunahme. Bis gegen Abend dann der Wind es sich anders überlegte und den Dienst quittierte. Wussten wir ja.
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Ein paar Tage später der Rückblick auf die Reise: 27.5.2022, St. Georges/ Bermuda. Am Anker
Punkt 1: Wind überwiegend Mangelware – immerhin hilft uns der Genaker über diverse Schwachwindphasen hinweg, ansonsten ist „Durststrecke“ angesagt, Durst auch im Sinne von Dieselverbrauch, und das leider allzu oft. Die letzten 24 Stunden zum Ansteuerungspunkt nördlich der Bermudas im Wesentlichen mit Motor im Dauerbrüll- und Turbopfeifeinsatz – wir hätten auch die Südspitze anlaufen können, aber daraus hätte ein finales Gebolze gegen Wind, Strom und Welle resultiert.
Punkt 2: Das Willkommen. Gestern früh meldet sich das UKW-Gerät – eine nette Überraschung, sind wir doch noch 6 Stunden vom Ziel entfernt. „Sailing vessel AKKA – this is Bermuda Radio!“ … … I picked you up on the AIS!“ Und alles in feinstem Queens English. Wir sind Europa ein kleines Schrittchen näher gerückt (genauer gesagt: Schottland auch, die nachmittägliche Funkwache rollt schottisches R und gibt lustige Vokallaute von sich.)
Punkt 3: der Daueraufreger der Passage ist die Satellitenverbindung. Was in drei Teufels Namen ist mit dem Iridium Go! los? Oder ist es mal wieder Fehlerquelle 040? (Der Verursacher sitzt 40 cm vor dem Display?) . Oder… darf ich meinem Groll auf die so oder so dämliche Providerfirma Satphonestore freien Lauf lassen? Prinzip: Hauptsache Umsatz. „If you encounter problems you made a mistake“. Zumindest bleibt es dabei, dass die zugehörige Software, die für die Verbindung zwischen den Laptops und dem Satellitenrouter sorgt, schlampig (… und das von mir!) programmiert ist. Kleines Beispiel: schreibe ein neues Mail, klicke auf „senden“ – und schwupp ist das Mail fort. Ohne jedoch mit dem Router verbunden gewesen zu sein. Sie steht so lange im Ordner „sent“, bis sie NICHT gesendet worden ist, dann steht sie im Ausgangspordner, aus dem sie sich aber nicht senden lässt… Im Logbuch steht: „Fuchs flucht und kämpft!“ Ich könnte mir in den Arxx beißen, dass ich von AST weggegangen bin, denn die Kombination AST/UUPlus/Onsatmail war von Malaysia bis Kuba problemlos. Nun hatten wir zwei Jahre überwiegende Küstensegelei mit fast durchgehendem Internetempfang über die Mobiltelefonie und haben daher keinen wirklich schlüssigen Eindruck, woran unser Problem liegt. Das heißt: eine Wettervorhersage braucht Zeit, mindestens so viel wie wir früher über die Kurzwelle benötigt haben. 3 oder 4 Anwählversuche sind eher die Regel als die Ausnahme; à 5 Minuten und mehr. Teuer. Mühsam. Geduldfordernd. Immerhin funktioniert der SMS-Dienst, der direkt über Iridium geht, drum gehen die Positionsmeldungen zuverlässig raus. Dank an Neffe Benjamin, der das bestätigen konnte. Die Unsicherheit erschwerte auch die Kommunikation mit der Wetterwelt, die angeforderten Vorhersagegebiete mussten extrem klein gehalten werden – nicht so toll, wenn frau weiß, dass voraus doch noch ein Tief lauert. Es wäre schön gewesen, besser über die Großwetterlage informiert zu sein. Und was macht frau da: reaktiviert heute mal die Kurzwellenanlage. (Wünscht mir Glück!)
Zunächst strecken wir die müden Knochen aus, heute ist noch hard-core-Ruhetag angesagt, weil auch an Land gefeiert wird; ich glaube, Bermuda Day wird nachgefeiert. Wenn es Internet gibt, können wir uns die weitere Wetterentwicklung anschauen und uns dann auf die lange Strecke zu den Azoren machen. Bis demnächst!

—- This e-mail was delivered via satellite phone using Global Marine Networks, LLC’s XGate software. Please be kind and keep your replies short.

Geht los!

… ein rotes Ungetüm

Man o‘ War Cay, 18.5.2022

Wir liegen direkt vor dem Cut, durch den wir morgen in der Früh in den Atlantik hineinstechen werden.
Wir haben ganz schön herumgedaddelt mit dem Wetter, aber vorgestern überredet mich der Eigner endgültig, dass es gut sei, mit schwachem Wind loszueiern. Also fein. Wetterwelt bestätigt den Gedanken. Zum Ende mag es uns wohl leider etwas entgegenwehen. Mal schauen – das wird eine schöne Bananenkurve nach Norden und bei den schwachen Winden rechnen wir mit 7-8 Tagen bis Bermuda.

Überraschungen gab es zwischenzeitlich auch, erst schmort ein Solarstromladekabel, die Reparatur kostet uns den Sonntagsausflug nach Hopetown, aber nun lädt das Panel wieder. (Merkt Ihr was? Früher war weniger „irgendwas ist immer!“). Und vorhin dann kurzfristiges Gedankenkarussell:
Die Schipperin schmeißt den Wassermacher an, unverzichtbar für eine mehrtägige Reise, auch wenn unterm Salontisch 3 Kanister Notreserve stehen. Wasser kommt aber nicht aus dem Feederzulauf. Gleich erst mal „Scheiße“ rufen und ins Cockpit weitertröten. Lässt sich der Wassermacher locken? Hochdruckpumpe an… nüscht. Feederpumpe (unterm Bodenbrett vorm vorderen Klo) läuft, und jawoll, die Ventile sind alle offen. Die Schipperin denkt: „Verstopft. … da muss ich wohl tauchen!“ , der Eigner übernimmt den Problemfall. Die Schipperin steuert ihr Gedankenkarussell Richtung: „Mist, wir sind voll ausklariert!“ und der Eigner bescheidet mich, langsam in Richtung Man o’War zu tuckern, denn seines dreht sich Richtung „… eventuell müssen wir umdrehen. Wasser tanken!“ Mache ich. Das wäre eine doofe Verzögerung, siehe oben, nach hinten weht es uns vielleicht entgegen. Unten wird ausgiebig geschraubt und geklappert, Schranktüren ausbauen und so. Ich genieße derweil einen sonnigen Segeltag und mein Karussell dreht sich noch, als ich ein „Ha! Ich glaub‘ ich hab’s!“ vernehme. Bisschen gestresst ist er ja, aber der Chiefengineer kam dann doch durch Ausschlussdiagnosen (Anschluß an der Hochdruckpumpe: nüscht; an diversen anderen Stellen ebenfalls nüscht – bis zum Anschluss an den Wasserfiltern. Huch, schnell wieder festziehen, es sprudelt!) darauf, dass schlicht der Ventilhebel für den Zulauf sich gelöst und auf „zu“ stehengeblieben war. Erleichterung, Stressmittagessen Spaghetti mit Paprika, Hühnchen und Tomate. Ende Gedankenkarussellfahrt.
Nö. Langweilig ist uns nicht.
Gleich packen wir die Fahrräder in die Taschen und stauen sie weg; wir waren nämlich heute früh zum Hochwasserzeitpunkt rasch ausgelaufen. Während der letzten Springtidentage (hat jemand den pinken Mond gesehen?!) stand Akka nämlich hübsch auf dem Grund und lehnt sich gemütlich ans Dock  – so weit war das Wasser gefallen. Nebenschauplatz: ich überlege noch, wie ich an eine Bermudaflagge komme. Roter Grund und Union Jack in der Ecke ist ja machbar (reuse-recycle, zum Beispiel von den Cook Islands…), aber dieses Bermudawappen kriegt niemand hin. Es gibt schlaue Leute, die Flaggen doppelseitig auf Papier drucken und in Klarsichthüllen packen, aber so viel Rot gibt der Drucker nicht her. Und a. sollen die Bermudans locker sein und b. … Zeit, die Nähnadel zu schwingen, wäre ja. Nur Wappen sticken – nicht mein Ding.

……….
hier nochmal das Link zum Norforeignland-Tracking

Geht los, geht nicht los

Marsh Harbour, 13.5.2022

„… und ich habe schon das Cockpit sauber gemacht, so ein Sche…!“, sagt der Eigner gerade. Sauber gemacht, damit wir morgen oder übermorgen ganz sauber Richtung Bermudas aufbrechen können. Während der Eigner wischt, kassiere ich Applaus für eine Radtour vom Maxwell’s Supermarket zurück zum Boot, zwischen den Schauern, mit fettem Rucksack und nicht nur einer, sondern zwei Lenkertaschen. Orangen, Kohlkopf, Käse… das volle Programm. Es applaudiert der Wagenschieber ob der Last. Das arme Fahrrad…

Wir sind also voll gerüstet – letzte Notrationen für das Grabbag sind gepackt, heute noch die Abfolge der notwendigen Bürokratieschritte: Covid-Test, Bermuda Travel Permit beantragen, Testergebnis hochladen, bezahlen, Pre-Arrival Notice abschicken, Auschecken beim Bahamas Zoll –  kurz: wir müssen früh aufstehen. Um 6 wird es hell, die Wetterwelt schickt die neueste Vorhersage. Der Eigner, noch in der Koje „… was für ein Mist! Willst Du mal gucken?!“  Nein, möchte ich nicht. Tolle Einstimmung an einem ohnehin trüben Morgen. Das sowieso etwas wackelige Wetterfenster sieht wirklich kacke aus, egal wohin man den Abfahrtzeitpunkt schiebt. Viel Welle am Anfang – es gab ein wirklich fieses Tief vor der US-Ostküste – durchsetzt mit Gewitter, dafür schwacher Wind, ganz unser Humor. Und das alles, damit es ab Montag nach Motoren aussieht.  Geht los?!  Geht nicht los. Das Ganze ist ein Glücksspiel, und wir setzen auf eine zweite Chance in 8 Tagen. Hoffentlich. Dann läuft nämlich unser Cruising Permit für die Bahamas aus, das wir großmäulig „Ach! Bis dahin sind wir längst weg!“ auf 3 Monate beschränkt hatten. Kost‘ im Zweifelsfall 300 extra. Also, bitte sehr: drückt die Daumen.

Aber wenn es so weit ist: man kann uns jetzt auf einer weiteren  Quelle verfolgen – die Schipperin hat es nach jahrelangem Zögern geschafft, den Iridiumrouter darauf zu dressieren, dass er alle 4 Stunden eine Position verschickt (das stündliche Intervall habe ich wohlweislich vermieden – bei unserer Geschwindigkeit macht das doch einen eher peinlichen Eindruck).  Wer Lust hat, schaut sich das bei Noforeignland an. Wenn man hineinzoomt, erscheint unter dem Schiffssymbol ein grauer Punkt, hinter dem sich Position, Kurs und Geschwindigkeit verbergen.  Wer andere Schiffe sehen will oder sucht, schließt das AKKA-Fenster oben links. Viel Spaß beim Surfen!  Ich hatte jetzt 25 Tage Spaß, weil die Flora sich auf den langen Weg von Galapagos nach Hawai’i begeben hatte. Ganz so sportlich wird es bei uns allerdings nicht ausschauen…

Bis es aber losgeht, sagen wir uns nochmal ein paar Mal: geht los?  Geht nicht los!