Komm mal schnell rauf…

Kourou, 20.12.2008

„…komm mal schnell rauf“ sagt Andreas, und wenn er das sagt, so kuehl, dann ist meist irgendwie Gefahr im Verzug. Ein wildes Insekt, Gegenverkehr oder der Mast faellt uns auf den Kopf. Heute war’s ein bisschen anders, aber wir wollen ja nicht mit der Tuer ins Haus fallen. Darum chronologisch:

Am Mittwoch um 13:00 Ortszeit waren wir da. Franzoesisch Guyana, nach 10 Tagen und genau 1,5 Stunden sanfter Dauersegelei.

Am letzten Tag gab es fuer 6 Stunden Motorsegeln, waehrenddessen haben wir Wasser gemacht und haetten vielleicht auch schon frueher wieder segeln koennen; das waren aber die einzigen Motorstunden seit dem Start. Je naeher wir der Kueste kamen, umso weniger wurde der Strom, der uns ja ueber Tage sensationelle Geschwindigkeiten beschert hatte – in Spitzen ueber 9 Knoten. Als wir dann so
um die 4 kn „rumduempelten“ (da haetten wir bei der Aequatorueberquerung von getraeumt!) zweifelten wir einen kleinen Augenblick lang, ob die Entscheidung, so lange nach Nordwest zu steuern bis wir auf reinem Westkurs Kourou anliegen koennten, richtig war, aber es war… Frueher weiter westlich zu halten haette uns eben auch frueher aus dem Schiebestrom heraus- und laengere „Schleichfahrt“ eingebracht.

Der Anker faellt vor der Hauptinsel der Iles du Salut, genannt „Ile Royale“, am Ufer knistern die Palmblaetter im Wind, Affen schreien ein bisschen rum, Papageien und Zikaden vervollstaendigen die Geraeuschkulisse. Ein paar Gebaeude aus der Zeit der Strafkolonie sitzen zwischen den Baeumen, sonst nichts. Ein Touristenkatamaran verschwindet um 3, dann sind wir allein. Baden! Und eine Positionsmeldung abgeben: „…schoen hier“.
Der Eindruck bleibt, obwohl einem bei naeherem Hinschauen am naechsten Tag doch das Wort „schoen“ ein bisschen in der Kehle stecken bleibt. Allzu viele Gebaeude lassen einen ahnen, wie grausig – ein brasilianischer Graffitti-Kommentar im Trakt der Einzelhaftzellen sagt: „unmenschlich“ – es hier bis in die 50er Jahre zugegangen ist hinein. Dazu vielleicht spaeter mal mehr.

Der Inselrundgang durch tropische Vegetationsfuelle – riesige Mangobaeume und Brotbaeume ueberragen den zentralen Platz, den Friedhof (fuer Personal, nicht Gefangene!), das ganze Inselinnere. Es bleibt nicht aus, dass wir die eine oder andere Kokosnuss aufsammeln. Und das sind vielleicht harte Nuesse! Vor allem aussen, diese dicke, elastische Naturverpackung. Wir muessen uns dringend was ueberlegen, wie Kokosnuesse ohne a. schwerwiegende Verletzungen und b. effektiv zu oeffnen sind; so ganz richtig haben wir den Bogen noch nicht raus. Das brasilianische Muster – Machete geschwungen und „wutsch“ – entspricht nicht der Bedingung unter a. und ist auch nicht ganz so effektiv, wie ich wuensche, denn das Kokoswasser laeuft irgendwohin. Die Huelle halb abgemeisselt und dann die Nuss mit dem Hammer aufgeschlagen bringt uns zwar an das Fruchtfleisch, das nun aber von Bastbroeseln uebersaet ist. Wir lernen. Mal wieder.

Am Freitagnachmittag kommt Besuch, die Gendarmerie. Sehr nette junge Maenner, die eine Art Protokoll ueber AKKA und ihre Besatzung aufnehmen – das hat weder was mit Einreise zu tun, noch mit dem Zoll. Nein, reine Vorsichtsmassnahme, es koennte ja ein Spionageschiff sein: schliesslich startet am Samstag um 18:51 die Ariane und ploetzlich wimmelt die Bucht von Polizei- und Militaerschiffen. Und deswegen haben wir am Starttag spaetestens um 16:00 Uhr die Inseln – die der franzoesischen Raumfahrtbehoerde gehoeren
– zu verlassen. Wir tun das, allerdings navigatorisch klueger morgens um 8, dann ist naemlich bald Hochwasser und fuer die Einfahrt nach Kourou braucht man eben dieses. Ein kurzer Trip von knapp 2 Stunden, aber ausreichend graesslich, denn dieses Fahrwasser ist auch bei Flut extrem flach – waehrend Andreas fest darauf vertraut, dass „zwischen den Tonnen einfach genug Wasser sein muss“, bleibt mir ein paar Mal das Herz stehen, wenn ich auf’s Echolot gucke. 1,5 m – das bedeutet, dass wir mal knapp 40 cm
unter dem Kiel haben, und die Duenung ist auch nicht schlecht. Nix fuer mein Nervenkostuem, ich rufe sogar den Bagger GEMMA an, an dem wir vorbeischippern, um zu ergruenden, ob wir uns vielleicht mit den Hochwasserzeiten getaeuscht haben. „Pas de problà¨me, madame…“ sagt der Kapitaen. Genug Wasser – der hat vielleicht die Ruhe weg…

Kourou praesentiert sich als verschlafenes Nest, wie ein karibisches Inselstaedtchen. Die Bevoelkerung ueberwiegend schwarz durchmischt mit weißen Franzosen undallezusammen versorgt von reichlich Chinesen, die Restaurants und kleine Supermaerkte betreiben und wohl Ueberbleibsel der grossen franzoesisch-chinesischen Raumfahrtkooperaton sind; deren Dienste nehmen wir gern in Anspruch, denn leicht ueberteuerten Kaese, Joghurt, Quark und Wurst koennen wir uns nicht entgehen lassen. Dass Hochtechnologie im Umland im Spiel ist, kann man nur ahnen. Wir entscheiden uns – faule Stuecke, die wir sind – zum Start der Ariane nicht noch einmal an Land zu gehen. Die Ariane hatten wir vom Wasser aus sehen koennen, so falsch kann die AKKA nicht liegen fuer das Schauspiel. Alles klar zum Fotografieren?

Ach, holen wir doch mal die Spiegelreflexkamera raus, ich kriege die kleine … Auf alles sind wir vorbereitet, nur nicht auf den hellen Lichtschein, der 10 Minuten vor Zeit den Horizont erhellt; Franzosen scheinen nur bis 10 Minuten vor „Zero“ runterzuzaehlen. „Komm mal schnell rauf! Sie fliegt schon!“ Was dann kommt, laesst einem den Atem stocken.

Erst ein gigantisches Lichterspiel durch die Wolken am Horizont, dann die Rakete schraeg ueber uns, ganz klar zu sehen, nach einer Weile gesellt sich ein Donnergrollen dazu, bis der Feuerschein immer schwaecher und kleiner wird und ueber dem Atlantik im Nachthimmel verschwindet. Mag sein, dass das fuer die Leute hier Alltagsgeschaeft ist – ich bin ganz aus dem Haeuschen. Endlich ein Raketenstart fuer
den Space-Freak – schlaflose Naechte konnte ich schon immer gut mit „Space Night“ fuellen. Es dauert ein Weilchen, bis ich wieder „runterkomme“.

Toll. Nochmal!