Vom Eichhoernchen

Unterwegs zu den Azoren, 20.6.2022. Tag 12.
Es stampft, es hackt, Akka wühlt. Bei sehr (sehr!) moderater Geschwindigkeit. Wann haben wir je so lange am Wind gelegen? Noch nie. Der Weg an der und um die Südostseite des neulich erwähnten Tiefs plus Randtief war mühsam. Hohe Welle plus eine ordentliche Tüte Wind, glücklicherweise eher Halbwind. Geschafft, jetzt schleichen wir am Westrand des Hochs über den Azoren nordostwärts – das wird ein lustiger Knick in der Kurslinie, wenn wir bei 41 Nord quasie zurückfahren.. Die Kommunikation gestaltet sich weiterhin schwierig, und es ergeben sich immer wieder Putzigkeiten, aber immerhin haben wir unseren Frieden mit den ECMWF-Vorhsagen über Predict Wind gemacht. Da schaut der geduldige Segler drauf, rätselt und tentert sich einen möglichen Kurs aus – ein Kurs, der nun definitiv nach Horta führt, denn das Eichhörnchen, das sich so mühsam nährt auf diesem Törn, ist schon ganz schön schlapp. 3 Tage weniger auf See wäre eine Erleichterung, zumal der Weg nach Falmouth druckgebietstechnisch auch nicht ganz klar ist – weitere Mühsal? Erst mal nicht, danke! Wir mühen uns durch die Wachen, probieren auch mal andere Staffelungen – 2 zentrale Schichten à 4 Stunden zerhauen aber irgendwie den Tagesrhythmus, also kehren wir zu den gewohnten 3-Stunden-Wachen zurück und verkneifen uns mitleidgesteuerte Schlafgeschenke. Ein Jammer, einen weit entrückten Eigner mit einem munteren „Hallo! Mitternacht!“ aus dem Tiefschlaf zu holen (funktioniert sowieso nicht, er trägt Ohrstöpsel – da muss frau schon handgreiflich werden). Wenigstens handelt es sich um eine Dösewache mit gelegentlichem Rundumblick und Radarkontrolle. Das wird noch ein paar Tage so gehen, wenn wir Glück haben, sind wir am Freitag da. Gebiet der Windstille inklusive, und zuvor eine gute Portion „Hack“ auf dem anderen Bug. Delfinkurzweil ist leider selten, dafür treiben Massen an Portugiesischen Galeeren vorbei. Ein paar Sturmtaucher führen Flugkunststücke vor. Die Tropikvögel haben wir längst hinter uns gelassen (man könnte die zunehmende nördliche Breite auch am Riggen einer zusätzlichen Bettdecke ablesen).
Noch ein paar Alltagsanmerkungen: Du schickst eine SMS und der Text ist weg, obwohl es einen positiven Quittungston gibt? Dann hat der Router das System mal kurz auf „Herstellungsdatum“ gestellt. Muss frau auch drauf kommen. Nachbar Fabian aus Wien berichtete vom Weg zu den Bermudas, dass seine Herdaufhängung durchgekracht ist – haha! Das kennen wir: Cocos Keeling-Rodrigues, Oktober 2015, und es lässt uns grübeln. Vielleicht ist es doch nicht so gut, den Herd die ganze Zeit schwingen zu lassen, wenn der schwere Wok darin gestaut ist. Brotbacken im gusseisernen Wok ist die bewährte Methode, nur ist das Stauen des (langfristig heißen) Wok bei dem Gehämmer sehr mühselig. Also stellt die Schipperin um auf „Edelstahlpott“ als Form. Ergebnis: ein deutlich blonderes Brot. Nicht schlecht, aber spätestens in Horta gibt’s wieder Gusseisen. Ach, und unser Telefonvorrat schwindet zusehends: ein Telefon erleidet einen leichten Seegangsschaden und lässt sich nicht mehr einschalten, das andere (mein US-Burner aus 2019) ist zwar kaum abzulesen, aber immerhin liefert es noch Hörbücher für die Nacht. Carl Moerck und Commissario Brunetti lassen grüßen. Das amerikanische Motorola liefert mir noch ein paar Stunden Hoaxilla und Dan Carlin’s Hardcore History (empfehlenswert: „Blueprint for Armageddon“. Die Deutschen und der erste Weltkrieg). Ihr seht: für Unterhaltung ist gesorgt. Und morgen muss das Eichhörnchen mal wenden. Es nährt sich wahrlich mühsam, aber wir sind dennoch guter Dinge.
—- This e-mail was delivered via satellite phone using Global Marine Networks, LLC’s XGate software. Please be kind and keep your replies short.