Deltaville, 20.1.2020
Kaum zurück in den USA tun sich wichtige Fragen auf. Zum Beispiel im Supermarkt, beim Gemüsekauf für den 8-tägigen Aufenthalt: wo sind all die Kürbisse hin, die wir im November noch überall fanden? Eindeutig – die müssen zum Thanksgiving Day verspeist worden sein, anders ist der Kürbismangel nicht zu erklären. Also bereiten wir andere Suppen auf unserem (arxx)kalten Schiff. Erbse, Kartoffel, Möhre. Einzig die kleinen gelben Squash gemahnen noch an kürbisreiche Zeiten (Nebenfrage: die dicken Dinger waren auch in den Tropen mein Lieblings-Ausdauergemüse, monatelang haltbar. Wieso, wieso gibt es die hier nur im Herbst? Möglicherweise liegt es an der Region…). Vorhin habe ich mich vom Bett zügig in den Salon gewagt; die Bett-Schichtung beläuft sich auf Bettdecke, Sommerdecke, Fleecedecke, Bettdecke! Der Eigner hat eine Schicht weniger obendrauf, denn der liegt auf einer der Bettdecken, weil er das Gefühl hat, es zieht durch die Matratze… . Jetzt ist Kaffeezeit, der Heizlüfter tut, was er kann, und das ist nicht viel. Schichtung auf dem Salonsofa: 2 Fleecedecken. Selbstredend mit Wollsocken und dem dicksten der vorhandenen Fleecepullover. Ganz ehrlich? Mittelmäßige Idee, im Januar hierher zu kommen. Dabei ist es gar nicht so abartig kalt, heute mal knapp unter Null, sonst eher drüber. Kürbissuppe wäre da nicht schlecht, mit „scharf“, das wärmt.
Wir sind am Dienstag von Hannover via Amsterdam nach Washington geflogen, alles prima, nette Verbindung: Kaffee zu Hause, zum Flughafen rollern, Abflug um 10:40 und – zack! – Washington. Für die Nacht – nach Passkontrolle und Gepäckaufsammeln ist es schließlich 1800 Ortszeit und „Mitternacht“ auf unserer inneren Uhr – ein Zimmer in Manassas, eine halbe Stunde südlich vom Flughafen, auch sehr nett.
Danach heim zur AKKA.
Ungeplanter Stopp: das „National Museum of the Marine Corps“ in Quantico; erst fahren wir dran vorbei, dann drehen wir um. Ich muss ab und zu an meine Mutter denken, die beim Anblick eines gequälten Pferdes beschieden wurde „… dann guck nicht hin!“. Ungefähr so geht es mir mit militärischen Angelegenheiten – aber meine Neugierde ist einfach zu groß, also: gucken. Schon der äußere Aspekt ist erschlagend. Der Komplex sieht aus wie eine riesige Befestigungsanlage, die aus dem Hang wächst, umgeben von wehrhaften erscheinenden Betonkonstruktionen. Betonklötze à la „Panzersperre“ sind dekorativ (mit Betonung auf dekorativ, in strahlendem Weiß) aufgereiht, das steil ansteigende Dach soll die Bewegung der Soldaten beim Hissen der Flagge auf Iwo Jima nachbilden. Heroismus pur. Der Empfang ist freundlich; wie überall wird man auch hier von Freiwilligen eingewiesen – Bob ist sicher Mitte 80, Vietnamveteran, mit zwei Hörgeräten ausgestattet und scherzt ein bisschen herum; wo die Toilette ist, sei besonders wichtig in unserem Alter. Danach nimmt die Tour ihren Lauf. Für die, die’s nicht wissen: die Marines (auch „Leathernecks“) sind das Expeditionscorps der US-Armee, zu Lande, zu Wasser, in der Luft. Schon seit dem Revolutionskrieg sind das harte Kerle und seit dem zweiten Weltkrieg auch Kerlinnen. Der Museumsteil zur Historie ist noch vergleichsweise harmlos, danach sehe und höre ich mir zur Entspannung ein paar Tracks der United States Marine Band („The President’s Own“. Räusper.) an, während der Eigner in den Tiefen der Ausstellung verschwindet. Was nicht unbedingt zur Hebung meiner Laune beiträgt – die ersten Tiefschläge kommen für mich schon mit ein paar Marine-Werbefilmen im zentralen Gang.
Dann erster Weltkrieg, besonders die Schlacht von Belleau. Einfach so, sehenden Auges ins gegnerische Feuer, und massenhaft. so grauenhaft, dass das Folgende überwiegend an mir abgleitet.
Die Ausstellung ist gewiss gigantisch und auch beeindruckend angelegt – im Zentrum ein ringförmiger Gang, von dem ein Labyrinth einzelner Kriegs- und Schlachtdarstellungen abzweigt, teils mit Originaltondokumenten, oder es vibriert der Boden unter den Füßen vom Gefechtslärm. Mich graust wirklich. An der Originalflagge von Iwo Jima (WW2, Pazifik) lasse ich mir vom zuständigen Veteran die Verluste erläutern. Noch gruseliger. Ich bin wirklich deprimiert, lege eine Pause ein und lande in der Eingangshalle; da wird gerade eine junge Frau befördert, oder dekoriert?! Irgendwas mit Familie und ihrem Platoon und viel Begeisterung. Und Stolz. Eben Heroismus auf höchster Ebene.
Korea ackern wir wieder gemeinsam ab, jetzt wird es politisch merkwürdig – vom heißen antikommunistischen Krieg in den kalten; dazu nukleare Bedrohungsszenarien, Täuschung hin und her, aber kein noch so geringer Zweifel am rechten Tun der Marines. Die alte Tradition, Leute ins Feuer zu schicken, siehe Belleau, scheint ungebrochen erhalten, auch im Ausstellungsteil „Koreakrieg“ wird die halsbrecherische Einnahme von Incheon bejubelt.
Kommt Vietnam… und ein Volunteer. Noch ein Bob. Urdeutscher Nachname, 30 Jahre Marine Corps, plus ein ganzes Leben, das sein Vater dort gedient hat, plus die Dienstjahre der Kinder, Sohn, Töchter… Wir geraten ins Schwadronieren – dass wir ziemlich unterschiedlicher Meinung sind, was die Berechtigung der Amerikaner angeht, bei allem und überall zu intervenieren, ist schnell klar. Und wir kriegen es auf’s Brot geschmiert… dass die Amerikaner Einsätze nur aus uneigennützigen Motiven machen. Wir fragen nach Kuba, und warum ein Land, das am Boden liegt, dringend noch mit Füßen getreten werden muss. Wie weit die Bedrohung geht, die von Kuba ausgeht?! Und sind beim Kommunismus. Amerika selbst sei gar nicht bedroht, dazu ist es zu groß, aber… Und bald sind wir bei den berühmt-berüchtigten Nato-Beiträgen der Europäer. Wir müssen begreifen, dass Amerikaner uns Europäer bis heute beschützen, für viel Geld, nur damit wir unsere kleinen, sozialistischen Planspielchen durchführen können. Schmarotzer (sage ich, sagt nicht Bob). Der amtierende Präsident jedenfalls will nur zwei Sachen: keinen Krieg (kann höchstens mal passieren, huch!), und vor allem nur das Beste für die USA (Kohle). Genau. America first. Dachten wir’s doch. Drum sind internationale Vereinbarungen auch völlig nebensächlich. Wo soll man bei Betonköpfen anfangen?!
So der verkürzte Gesprächsinhalt. Wir sind auf beiden Seiten ganz ruhig und gefasst, und vor allem sind wir uns einig, dass man reden muss. Viele Argumente fallen uns leider erst bei der Weiterfahrt ein. Ich verleibe mir zum Thema Iran gerade „All the Shah’s Men“ ein. Lesen bildet!
Heute ist eine Aufenthaltswarnung für unsere Provinzhauptstadt ausgegeben – in Richmond findet eine Versammlung zum 2nd Amendment statt, und die militanten Waffenbesitzer haben zum Widerstand aufgerufen: es sollen die Grundrechte der Amerikaner geschmälert werden, zum Beispiel soll man nur noch 1 Waffe pro Monat kaufen dürfen. Und die Backgroundchecks… ganz schrecklich.
Dazu fragt Andreas gerade im Bezug auf den Blogtitel: „… where have all the pump guns gone?“ und ich: … when will they ever learn.
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* für die Interessierten: die Ausreise aus dem USA hatet gut geklappt, auch ohne Stempel ist man (sofern alles normal läuft) als „ausgereist“ registriert, also gab es bei Wiedereinreise ohne Mucken die üblichen 6 Monate Aufenthaltserlaubnis. Zolltechnisch wurden wir lediglich knapp befragt, das macht CBP in einem Rutsch – Ofenbleche, Kleinteile für’s Schiff, Fahrradnaben? Alles easy.