Home, sweet home…

Es war ein denkwürdiger Moment: Das Niedergangsschott aufschließen, einen tiefen Atemzug nehmen und das Gefühl haben, zuhause angekommen zu sein. Wir sind wieder da, kleine AKKA, große AKKA! Ein bisschen staubig war das Deck, aber sonst war alles in Ordnung, und wir scheinen auch noch den rechten Zeitpunkt für die lange Reise gefunden zu haben: mit Ende der Regenzeit ist die Luftfeuchtigkeit so weit reduziert, dass wir nicht mal große Schimmelattacken reiten mussten. Jetzt heißt es aufräumen, Rumpf schrubben, Anoden prüfen – und neue Pläne machen.

BLUE SONG, Jochen und Traudl, deren Spuren wir ja teilweise gefolgt waren, bereiteten uns abends einen Klasse Empfang mit der ersten Caipirinha; eine Wohltat nach den 43 Stunden Busreise. Und tags drauf gab es ein langes Quatschen und Weintrinken und Würstchenessen mit der PRESENT – wie schön, zusammensitzen zu können… PETITE FLEUR war auf dem Funk zu hören, 750 Meilen von hier auf dem Weg nach Norden – wir wünschen Euch eine gute Reise!

Natürlich waren wir alle voll von unseren individuellen Erlebnissen – Hollandbesuch, Iguazu, Pantanal auf der einen Seite, aus uns quollen die ganzen Anden-, Peru- und Bolivienerzählungen hervor. Und da steht ja auch hier noch der „Rest der Reise“ aus.

Um in Campo Grande anzufangen: Das mit den dicken Füßen klappt bei 24 Stunden Busreise ganz gut, und der Bus ist auch nur ein ganz kleines bisschen zusammengebrochen. Nein, eigentlich ist wohl der Fahrer zusammengebrochen, weil er einen Wassertemperatur-Warnton nicht ertragen konnte und sich weigerte, mit 85 ° C Kühlwassertemperatur weiterzufahren. Bis Uberlandia hat er es dann doch noch geschafft, und die restilichen 10 Stunden war dann ein anderer Fahrer am Lenkrad, wahrscheinlich einer mit Hörschaden genau auf der Warntonfrequenz ;).
Um 20:00 abends dann BRASILIA. Ich hatte eine kurzen „ich will sofort weiter“-Impuls, kein Schwein versteht mein Spanisch, und ich habe jegliche Fähigkeit, Portugiesisch zu sprechen auf 4000 m Höhe in den Anden verloren. Oder im Amazonas versenkt. Und beide haben wir einen massiven „merkwürdige-Stadt“-Eindruck. Der Taxifahrer fuhr uns vom weit draußen gelegenen Busbahnhof – in jeder Hinsicht „jwd“! – nach kurzer Diskussion brav zum gewünschten Ziel (703 ASA Sul, Bloco N, casa 34; allein das soll schon mal jemand Unbedarftes und übermüdetes verstehen!), wo dann auch prompt KEINE Pousada Dom Bosco zu finden war, er schaffte uns aber zu einer anderen, auf der Nordseite der Haupt-Straßenachse, wo ich dann nochmals kurz zusammenbrach wegen der ungewohnten 120 Reais (knapp 50 ‚¬) für die Übernachtung. Der Chef guckte mich nur komisch an: „… das ist doch normal hier!“, und dann war es auch gut. Dann „Finanzkrise“ – Brasilien ist nicht sehr gut mit Geldautomatenversorgt, längst nicht so wie die anderen Länder, und so gab es kein Geld vom HSCB-Automaten. Lesefehler, Systemfehler, was weiß ich. Die Sparkassenkarte tat es dann aber im Hotel, so dass wir wenigstens Zahlungsfähigkeit demonstrieren konnten. Zimmer im Keller, naja – ach, nein, eigentlich in Ordnung… Über bröckelige Gehwege trugen uns die schon abschwellenden Beine zur Pizzeria. Wirklich, merkwürdige Hauptstadt. Aber mit viel Pizza im Bauch (2 zum Preis von 1! 80% der Zweitpizza verschlang dann unser Hotelnachtwächter, jeden Tag eine gute Tat!) schlief es sich dann doch gut, der Bus am nächsten Morgen zum stödtischen Busbahnhof war dann schon eine Erleuchtung – Felipe Massa ist nix dagegen und die Straßenführung kann man getrost als weitsichtig und futuristisch bezeichnen und verträgt auch eine zügige Fahrweise. Die Rucksäcke dann wieder draußen am Überlandbahnhof abgekippt und dann… Tja. BRASILIA! Ich fand es einfach umwerfend.

Wir gucken uns die Dom Bosco-Kirche an – eine Kombination aus grauen Betonstelen, die innen weiß und mit dunkelblauem Muranoglas gefüllt sind.

Die Kathedrale – ein Beton-Tipi, glasklar und hell. Wir latschen durch die Botschaftsviertel und freuen uns an der größten aller Botschaften, der päpstlichen Nuntiatur ;). Und treten Aspalt und treten Asphalt und treten… Die ganze Stadt ist perfekt durchgeplant und m�gen die Gebäude auch teilweise klotzig sein – alles hat durch die großräumige Anordnung eine gewisse Leichtigkeit. Die lange Reihe der Ministerien – eine Bannmeile scheint es nicht zu geben, vor jedem Eingang gro�e Gewerkschaftsplakate mit Aufforderungen der Beamten an die Minister und den Präsidenten, dazu Musik und ein bisschen Demo. Das Außenministerium sticht architektonisch heraus – weitläufiges Gebäude, drumherum ein weiter Wassergraben. Als Original Landpomeranzen kommen wir gar nicht auf die Idee, dass man das Gebäude besichtigen könnte; dass wir das verpasst haben, werden wir erst von der Blue Song erfahren. Diese ganze Achse der Regierungsgebäude führt geradlinig auf die Praca de 3 Poderes zu, den Platz der 3 Mächte, dort hinten, wo man eine kleine Nationalflagge wehen sieht ;). 287 qm knattern da im Wind, monatlich einmal unter tschingderassa-bumm gewechselt. Mittig auf der Achse liegt das Parlament, auf der Nordseite das Präsidialgebäude und nach Süden der oberste Gerichtshof. Der alte Herr Niemeyer hat sich das gigantisch ausgedacht. Eine Weile sitzen wir unter der Flagge, auch die übrigens hochsymbolisch, und ich schäme mich ein bisschen meiner selbst genähten Gastlandflagge… Den Leitspruch „Ordem e Progresso“ auf dem gelben Äquator habe ich durch schwarze Krakel ersetzt, und das Sternbild – der Morgenhimmel über Rio am Tag der Verfassungslegung 1904 – sind willkürlich gesetzte Pünktchen, die bei mir die verschiedenen Stofflagen zusammenhalten. Ignorantin.
Ich denke mir, dass es einfach Spaß machen muss, in so einem Gesamtkunstwerk zu leben und zu arbeiten. Und Andreas findet das auch. Nur… Der alte Architekt („… tragen und lasten!“) kommt durch: „… dass das nun alles gleichzeitig zerbröckeln wird. Wie schade!“ Stimmt. Es bröckelt schon, aber es bleibt beim Gesamturteil: Fantastisch.
Als es dunkel wird, kehren wir noch auf einen Kaffee ohne Zucker (das gibt es in Brasilien, man sollte es nicht glauben!) ein und um 21:40 rollt der Bus Richtung Recife an. Vor mir für 40 geschlagene Stunden ein Mann, der alle 2 Minuten aus den Tiefen seiner Neben- und anderen Höhlen hübsch den Rotz hochholt. Vor mir? Dank klappbarer Rückenlehne auf meinem Schoß… Andreas bittet nachzutragen, dass er das nur gemacht hat, wenn er nicht schlief, und er schlief glücklicherweise häufig… Zwei Paar Ohrenstöpsel gehen so drauf von Brasilia bis Recife, aber ich hatte wenigstens meine (Seelen-)Ruhe. Man lernt sich zurückzunehmen auf so einer Reise. Als wir das unseren Kollegen von PRESENT und BLUE SONG erzählen, können alle das gleiche Lied singen. Na also, da sind wir ja auf was typisch Brasilianisches gestoßen ;).
Alle paar Stunden hält der Bus zwecks Piesel-Pause oder Abendessen, Frühstück, Lunch, so kriegt man die Zeit rum, wie auch mit Lesen und Pennen, in Maceio leert sich der Bus bis auf ein paar Gestalten, die wie wir Ziel Recife ansteuern. Noch eine kleine Panne – ein Gelenkkopf bricht an einem Hydraulikzylinder für die Gashebelbetätigung – die zu Andreas Verwunderung mit Bordmitteln, sprich: einer Rolle Draht, behoben wird, („… das KANN einfach nicht funktionieren! Der wird mich doch nicht Lügen strafen…“), aber der Bus tut’s wieder und um 12:30 sind wir da. Wir schultern die Rucksäcke, traben zum Fahrkartenschalter für Joao Pessoa und sitzen schon 15 Minuten später im Bus zum endgültigen Zielanflug. Joao Pessoa. Hier sind wir schon fast zu Hause. Und der Rest, der steht ja dann oben. Home, sweet home!