The Old Bolivian Express

Santa Cruz de la Sierra, 24.10.2008

Paul Theroux und sein „Old Patagonian Express“ – das war ja auch nicht immer ganz einfach. Morgen um 12 geht es los, nur fahren wir nicht mit dem Zug durch die Amerikas, sondern nur ein ganz kleines Stueck durch Bolivien. Allerdings: Bluesong war vor ein paar Wochen hier und schrieb, dass die Zugfahrt „viel ungemuetlicher als alle Busfahrten“ gewesen sei. Na und? Nun ja, wir haben halt nicht den Ferrobus am Sonntag gekriegt, mit Klimaanlage und Bettchen und Fresschen, so wie wir gewuenscht hatten; der ist naemlich rappelvoll. Und der „Express Oriental“ heute ist es ebenso – da haette es ein paar Abstriche bei der Sitzqualitaet gegeben, aber das haetten wir schon hingenommen. Was bleibt? Auf den Spuren von Paul Theroux – der Regionalzug morgen mittag. 19 Stunden durch den Urwald – ich sammele schon mal Plastiktueten, falls man das Klo nicht benutzen kann ;). Wie sagte der Fahrkartenverkaeufer mit einem leicht zweifelnden Blick? „…muy feo!“ Sehr scheusslich. Wir werden berichten!

Aber schön anzuschauen ist Santa Cruz – und hat dann auch noch eine ganz besondere Oase: Das Goetheinstitut, in dem man unbehelligt in SPIEGEL und ZEIT blättern kann, bis einem die Augen tränen…

Abends gehen wir tatsächlich noch einmal zu „La Casona“, selbst WENN der heute Oktoberfest hat, das Essen gestern abend war ausgezeichnet. Ich hatte einen regionsneutralen Feldsalat mit Speck und Croutons, und Andreas… Rinderleber Berliner Art! Ich bin gerade noch so an den schwaebischen Maultaschen vorbeigekommen. Das Publikum in der kleinen Casona, das sind die Kolonialhaeuser mit dem Innenhof, auf dem wir Platz genommen hatten, ganz gemischt; Japaner auf Exotik-Trip (und schliesslich waren wir ja in La Paz Sashimi essen!), europaeische Zuwanderer, deutsche Touristen, „echte Einheimische“. Dazu ein bisschen Live-Musik, drei Bolivianer schmettern Halbschmalziges zu Gitarrenklaengen. Wir eignen uns eindeutig zum „colonial bastard“. Schon gar, wenn alles so kostenguenstig ist. Andreas sammelt schon Zahlen fuer eine „pro Bolivia“-Preisliste. Hotel? 12 Euro, Pool, heisse Dusche und Glotze inklusive; man kann aber nicht immer alles haben: wir hoeren die Deutsche Welle zum Bild des Sensationssenders „Epicentro“. Naja. Auf dem Zug wird es morgen dann dafuer „live entertainment“ geben. Wir freuen uns schon 😉

Café Alexander und Oktoberfest und so…

Santa Cruz, 23.10.2008

Falls jemand sich Sorgen gemacht haben sollte: wir sind heile in Santa Cruz angekommen, und es hat nicht einmal die versprochenen 17 Stunden gedauert. Der Schlafsitz war geeignet, tatsaechlich zu schlafen, denn ich habe augenscheinlich den langen Tankstellenstopp um 4 Uhr morgens verpennt – und das waere die einzige Moeglichkeit zur Blasenentleerung bis um 9 Uhr gewesen… Dafuer fand die dann an einer Polizeikontrolle statt, an der mit „Ba�o Publico“ fuer nur 50 Centesimo geworben wurde, das beruehmte Loch im Betonboden, aber durchaus zweckmaessig. Nur die Brasilianerin nebenan – man schaut sich ueber die Trennwand in die Augen (wenn man steht 😉 ) – fand es „strange, very strange“, aber offensichtlich sind wir doch schwer abgehaertet.

Als wir heute frueh dann durch den Nieselregen am Abhang der Anden fuhren – die Eustachischen Roehren lassen die Ohren gehoerig knacken und quietschen, der Hoehenunterschied von 3.600 m fordert sein Tribut! – ist alles anders. Aussentemperatur, dicke Vegetation am Strassenrand, Felder von europaeischen Ausmassen. Die Leute tragen T-Shirt und Shorts. Die steten Begleiter auf den Mauern: „Evo, si!“ und „Evo – el cambio avanza!“ werden durch ein vorsichtiges „Santa Cruz�braucht �Evo!“ abgeloest und dann wird es doch ein bisschen deutlicher. Es fallen die Worte „Moerder“ und „genug Tote“ und ziemlich unverbluemte Aufforderungen, zu den Waffen zu greifen und sich des Praesidenten zu entledigen. Insgesamt ist der Eindruck vom derzeit ganz ruhigen Santa Cruz: Viel reicher als im Hochland, viel weisser, viel europaeisierter. Claudia, bayerische Masseurin und seit langem hier wohnhaft, erzaehlt dazu ein paar Fakten, als sie uns vorhin im Caf� Alexander anspricht, und wir tauschen uns ein Weilchen aus. . Es ist wirklich gut, verschiedene Meinungen zu hoeren, und das Verstaendnis fuer die prekaere Situation der armen Bevoelkerung in grossen Teilen Boliviens teilen wir ganz eindeutig. Uebrigens – deutsche Aerztebuerokratie-Fluechtlinge scheinen hier auch ihr Auskommen zu haben; Claudia sitzt hier mit ihrer Freundin aus einer deutschen Arztpraxis zusamman… Kleiner Tipp in die Runde 😉 (ich weiss, „…die Hygieeeeene!“).

Egal, ich muss jetzt die Bahnverbindungen nach Brasilien raussuchen und wir hoffen, dass wir das morgen stattfindende „Okotoberfest“ unbeschadet ueberstehen um dann bald die Weiterreise anzutreten.

AKKA, scheint es gut zu gehen. Len und Janna, frisch auf ihre Present zurueckgekehrt (mit unserer Post!), schicken eine Mail, die uns wirklich freut. Len hat eine ausgiebige Runde gedreht und alles, aber auch alles fuer in Ordnung befunden. Selbst mein Sonnensegel, das Riesen-Trumm, sitzt noch am alten Platz, nach drei Monaten. Puuh! Vielen Dank, Ihr Presenter fuer die beruhigenden Nachrichten und die Botendienste. Wir freuen uns jetzt doch sehr auf unsere alte Gans. Also nix wie rueber ueber die Grenze. Sind ja nur 1000 km…